Hyperthermie
Hyperthermie
Stand: 02.04.2015
Hyperthermie (griech. Überwärmung) nennt man in der Medizin eine Behandlung, bei der die Temperatur des Körpergewebes künstlich erhöht wird. Sie ist ein Teilbereich der Thermotherapie. Es gibt Überwärmungen des ganzen Körpers und solche von Regionen oder einzelnen Organen. Unter die Bezeichnung fallen nicht die einfachen äußeren Wärmeanwendungen, die vor allem die Hautschichten erhöhen (Fango, Infrarotbestrahlung) usw.
Bei der Überwärmungstherapie wird im Gegensatz zur Fiebertherapie die Wärmeabgabe des Körpers künstlich eingeschränkt, beispielsweise durch Bäder oder wärmestauende Wickel.
Geschichte der Hyperthermie
Erstmals erwähnt wurde die heilende Wirkung der Wärme schon in den altägyptischen Hochkulturen (2400 v. Chr.), aber erst Mediziner der griechischen Antike haben diesen therapeutischen Ansatz konsequent angewandt, anerkannt und benannt: Überwärmung (griechisch: Hyperthermie). „Gebt mir die Macht, Fieber zu erzeugen, und ich heile jede Krankheit“ (Parmenides, griechischer Arzt und Philosoph, 540-480 v. Chr). Im Laufe der Jahrhunderte fanden sich verschiedene Anwendungsgebiete. So war zeitweise bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten die künstliche Erzeugung von Fieber mit Hilfe pyrogener Stoffe als Fiebertherapie üblich. Diese Eingriffe in Organismus und Körperfunktionen lassen sich als aktive Hyperthermie bezeichnen. Die passive Hyperthermie bezeichnet hingegen die Erhöhung der Körpertemperatur mittels Geräteeinsatzes von außen. Sie kommt heute vor allem in der Krebsbehandlung zum Einsatz.
Als Pionier der modernen „Fiebertherapie“ darf Julius Wagner von Jauregg gelten. Zunächst beobachtete von Jauregg zufällig bei einem Patienten mit Erysipel eine Heilung für eine generalisierte Paralyse bei systemischer Lues; später entwickelte er dann die Fiebertherapie mittels Malaria-infiziertem Blut, auch Malariatherapie genannt. Von Jauregg erhielt 1927 den Medizinnobelpreis für die Behandlung von Psychosen und Lues mittels Fiebertherapie. Die Wirksamkeit dieses Verfahren konnte allerdings später nicht mehr bestätigt werden.
Hyperthermie in der Krebsbehandlung
Ganzkörper-Hyperthermie
1886 veröffentlichte der deutsche Chirurg Wilhelm Busch einen Artikel "über die Wirkungen, welche heftige Erysipeln (die mit hohem Fieber einher gehen) auf bösartige Neubildungen haben". Zunächst wurde versucht, bösartige Tumoren mit künstlich erzeugtem Fieber zu heilen. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kamen mehr und mehr Apparate zum Einsatz. Anfang der 1960er Jahre wurde diese bereits bekannte und angewandte Methode als Ganzkörperhyperthermie wiederentdeckt. Interesse ist dabei allgemeine Leistungssteigerung, Steigerung der Immunabwehr, Ergänzung von Krebstherapien. Seit den 1970er Jahren laufen Studien zu dieser Therapieform. In Ost-Deutschland war es vor allem der Physiker und Krebsforscher Manfred von Ardenne, der eine Ganzkörper-Hyperthermie entwickelte. Hohe Eindringtiefe erzielte er mit langwelligem Infrarotlicht. Mangels einer genauen Kontrollmöglichkeit der inneren Körpertemperatur war es zu Anfang schwierig, die Methode zu optimieren. Zur Unterstützung wird sie in der Regel mit anderen Therapien kombiniert (zum Beispiel fast immer mit einer Sauerstoffinhalation, analog zum Einsatz von Sauerstoff in der Schulmedizin). Er verband daher diese Infrarotlicht-Therapie mit seiner Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie zur Krebs-Mehrschritt-Therapie - inklusive erhöhter Zufuhr von Traubenzucker (um das in Bezug auf den Stoffwechsel abweichende Verhalten der Krebszellen nutzbar zu machen - "Glykolysestoffwechsel" dominiert in diesem Fall). Die vor allem von seinem Institut bzw. der entsprechenden Nachfolgefirma entwickelte moderne Gerätetechnologie ermöglicht eine gute Steuerung der Überwärmung und erleichtert so die Anwendung in der medizinischen Praxis. Von Ardenne konnte nie den klinischen Beweis für die Wirksamkeit in Bezug auf Krebs erbringen (Doppelblindversuche bei einer Therapie, die mit Inhalation zu tun hat). Im Tierversuch gibt es Untersuchungen, die positiv verlaufen sind. Die beschriebenen Erfolge der Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie und der Krebs-Mehrschritt-Therapie sind Gegenstand von Diskussionen gewesen. Beide Methoden sind in diesem Sinn aktuell der alternativen Medizin zuzurechnen. Die heilende Wirkung der Überwärmung in Form des Fiebers und auch des künstlich herbei geführten so genannten "Heilfiebers" ist unbestritten. Hyperthermie ahmt nach und nutzt ein Prinzip, das von der Natur vorgegeben ist.
Bei einer modernen Ausführung, die bei der Ganzkörper-Hyperthermie von Interesse ist (Ardenne), wird die Wärme als gefilterte Infrarotstrahlung zugeführt. Ein Teil der Wärmestrahlung wird, bevor sie den Patienten erreicht, über eine Schicht zirkulierenden Wassers absorbiert. Der Vorteil besteht darin, dass die Strahlung relativ gleichmäßig eindringt, Überhitzung der Hautschichten daher weitest gehend vermieden wird. Der Patient liegt mit dem Rücken auf einer IR-durchlässigen Matte. Die Wärmestrahlung kommt von unten und wird an der Oberseite des Körpers reflektiert. Die Reflexion erfolgt an einer dünnen Metallfolie (ähnlich einer Rettungsdecke), mit der der Patient zugedeckt wird. Sie ermöglicht es, die IR-Strahlung besser auszunützen, sie passiert den Körper zweifach. Alternativ zur offenen Anwendungsform gibt es auch Anlagen, bei denen sich der Patient (ebenfalls in liegender Position) in einer isolierten Kammer befindet, die elektrisch beheizt wird. Der Kopf befindet sich dabei außerhalb der Heizzone (Vorteil = diese Anlage ist technisch einfacher zu realisieren und daher preisgünstiger).
Teilkörper-Hyperthermie
Die von Ardenne eingeführten Methoden und Geräte sind in Diskussion. Die Ganzkörper-Hyperthermie wird innerhalb der Schulmedizin selten eingesetzt, zunehmend in der Komplementärmedizin (vor allem im Bereich "Wellness" und Krebstherapie in Kombination mit anderen Methoden - zum Beispiel Sauerstoffinhalation). Die mit der extremen Ganzkörper-Hyperthermie erreichten Temperaturen von maximal 41,8 °C erhöhen das Risiko für Komplikationen erheblich. In diesem Fall kann auch die Gabe eines Beruhigungsmittels erforderlich sein (im Extremfall wird eine Narkose eingeleitet). Verbreiteter sind Anwendungsformen, bei denen etwas niedrigere Temperaturen angewendet werden. Nebenwirkungen sind unter diesen Umständen keine zu erwarten oder nur sehr geringe - im Verhältnis zu den Nebenwirkungen, die zum Beispiel bei einer Chemotherapie oder Strahlentherapie auftreten, ist der Unterschied eklatant. Die Übererwärmung dauert in der Regel nicht länger als eine Stunde. Die Temperatur wird stufenweise und unter ständiger Beobachtung des Patienten (Puls, Blutdruck, Körpertemperatur) gesteigert und reduziert. In den GUS-Staaten wird die Ganzkörper-Hyperthermie häufig eingesetzt. Dort werden die Körpertemperatur der Patienten unter Kühlung des Gehirns auf Temperaturen von bis zu 43°C erhöht. Die Anwendung als Oberflächen- Tiefen- oder Teilkörper-Hyperthermie wird vielerorts weiterentwickelt und in klinischen Studien erprobt. Fast immer wird die Hyperthermie mit Strahlen- oder Chemotherapie kombiniert, wenn es um Krebserkrankungen geht. In der Behandlung von Krebserkrankungen(Onkologie) wird sie vor allem dann eingesetzt, wenn andere Verfahren (Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie) keinen ausreichenden Erfolg mehr versprechen. Die Überwärmung auf 40-44° Celsius wird gezielt im Tumorgebiet erzeugt, meist von außen mit Hilfe von Mikrowellen, Radiowellen oder Ultraschall.
Einzelne Organe können vom Blutkreislauf vorübergehend getrennt und mit erwärmter Lösung gespült werden. Es gibt auch experimentelle Ansätze, Heizspulen direkt in einen Tumor hineinzubringen oder magnetische Flüssigkeiten zu injizieren und diese dann induktiv zu erwärmen.
Wirkungsweise
Die erhöhten Temperaturen begünstigen eine verstärkte Durchblutung im Tumorgewebe und damit eine signifikant verbesserte Wirkung von Strahlen- und Chemotherapie. Der sogenannte synergistische Effekt der Hyperthermie führt zu einer Potenzierung der Wirksamkeit bei Kombination der Standardtherapien mit therapeutischer Hyperthermie.
Man hat festgestellt, dass Zytostatika (Chemotherapiesubstanzen) bei Temperaturen über 40° C deutlich aggressiver wirken als bei der normalen Körpertemperatur. Darüber hinaus sind die thermisch vorgeschädigten Tumorzellen leichter durch die Strahlentherapie zu bekämpfen, weil ihre Reparaturfähigkeiten herabgesetzt sind. So lassen sich Nebenwirkungen wie Haarausfall und Übelkeit, die den Patienten häufig psychisch und physisch stark belasten, reduzieren. Selbst mancher gegen Chemo- und Strahlentherapie resistent gewordene Tumor kann nach einer Hyperthermie-Behandlung auf diese Therapien wieder ansprechen. Eine aktuelle Studie der Berliner Charité („Influence of neoadjuvant radiochemotherapy combined with hyperthermia on the quality of life in rectum cancer patients“), die Rektumkarzinom-Patienten untersuchte, kam darüber hinaus zu folgendem Ergebnis: Der zusätzliche Einsatz von Hyperthermie in Kombination mit Strahlen- und Chemotherapie hat eine positive Wirkung auf die Lebensqualität von Krebspatienten gegenüber denjenigen, die keine Behandlung mit Hyperthermie erhielten.
Gegenwärtiger Stand
Rund 400.000 neue Krebspatienten gibt es nach einer Studie der „Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister“ jedes Jahr alleine in Deutschland. Je nach Krebsart werden unterschiedliche Hyperthermie-Verfahren angewandt. Neben der Ganzkörper-Hyperthermie verspricht vor allem die regionale Tiefenhyperthermie Erfolg. Klinische Studien haben gezeigt, dass durch diese Anwendung so genannter therapeutischer Wärme das krankheitsfreie Überleben verlängert und die lokale Tumorkontrolle verbessert werden. Onkologen des Erasmus Medical Centers in Rotterdam konnten mit dieser Methode sehr gute Ergebnisse erzielen. Hier wurden 114 Frauen mit der klassischen Strahlentherapie behandelt, ein Teil der Frauen zusätzlich der regionalen Tiefenhyperthermie unterzogen. Die Überlebenschance dieser Frauen lag im Drei-Jahres-Vergleich etwa doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe. (Quelle: J. van der Zee: „Today‘s patients“, Future Oncology. (2005) 1(6))
Der Studienergebnisse zeigen deutlich: Es kommt zu einer Wirkungssteigerung von Chemo- und Strahlentherapie und eine erhöhte Durchblutung durch die Wärme kann den Tumor für die Strahlentherapie empfindlicher machen. Durch die verstärkte Durchblutung in der Tumorregion kann außerdem eine höhere Konzentration von zellabtötenden Medikamenten erzielt werden. Ein zweites wichtiges Ergebnis ist die direkte zellabtötende Wirkung durch die Erhitzung, was durch verschiedene Untersuchungen untermauert wurde. Darüber hinaus wandelt sich der Immunstatus: die Temperaturerhöhung führt zur Änderung bestimmter Moleküle auf der Oberfläche der Tumorzellen, was die „Enttarnung“ dieser Zellen und somit die Aktivierung des körpereigenen Immunsystems zur Folge hat.
Es gibt viele Geräte mit völlig unterschiedlicher Funktionsweise am Markt. Das erklärt, warum Hyperthermie-Behandlungen noch nicht als Standardtherapien eingesetzt werden. Die BSD-Geräte sind derzeit nur in onkologischen Zentren verfügbar. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es solche Programme an 14 onkologischen Zentren in Deutschland (zum Beispiel München/Großhadern, Universitätsklinik Tübingen, Berlin/Charité). Die knapp 100 Geräte des Typs EHY-2000 finden sich vor allem bei niedergelassenen Ärzten, die vor allem Krebspatienten in den späteren Stadien der Krankheit therapieren. Hyperthermie ist in Deutschland keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auf Antrag können dort im Rahmen einer individuellen Fallentscheidung die Kosten übernommen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. Dezember 2005 festgestellt, dass einem gesetzlich versicherten Patienten, der an einer regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, bestimmte Therapien nicht verweigert werden dürfen und dass die Kosten für solche Therapien durch die gesetzlichen Kassen übernommen werden sollten, wenn mit einer Besserung der Situation zu rechnen ist.