LRS-Behandlungskonzept nach Reuter-Liehr
LRS-Behandlungskonzept nach Reuter-Liehr
Stand: 02.04.2015
Vorstellung des LRS-Behandlungskonzepts nach Reuter-Liehr
Die zertifizierte LRS-Therapie nach Reuter-Liehr bietet ein wissenschaftlich überprüftes Konzept mit dem Ziel erfolgreicher Kompensation der Lese-Rechtschreibstörung (LRS, Legasthenie). Neben kurzfristigen Erfolgen - ermittelt in mehreren unabhängigen Studien (Reuter-Liehr 1993, 2001; Weber/Marx/Schneider 2002; Klicpera et al. 2004) - konnte auch der nachhaltige Erfolg dieses LRS-Behandlungskonzepts durch Ergebnisse einer Follow-up-Studie aus dem Jahr 2004 (Unterberg 2005) belegt werden. Die Ergebnisse dieser Studie finden Sie hier.
Der bisherige Forschungsstand hat ergeben, dass sich die fundierteste Vorgehensweise in der Legasthenietherapie am Entwicklungsprozess des Schriftspracherwerbs orientiert und ein konsequent strategiegeleitetes Lernen ermöglicht. Diese Erkenntnis beherzigt das Therapiekonzept seit mindestens 20 Jahren, entstanden zunächst überwiegend aus der Beobachtung langjähriger legasthenietherapeutischer Praxis (seit 1970), in einem Forschungsprojekt (1987-1993) an der Universität Göttingen empirisch überprüft und stets weiterentwickelt.
Die Orientierung am Entwicklungsprozess des Schriftspracherwerbs bedeutet, zunächst die Zugangsweise zur lautorientierten/phonemischen Strategie zu sichern, um dann die orthographische/morphemische Strategie - Regel und Speichertraining - anzuschließen. Ziel ist, das legasthene Kind Schritt für Schritt zu befähigen, gezielt hilfreiche Lese- und Rechtschreibstrategien einzusetzen, da es die strukturellen Regelmäßigkeiten der deutschen Schriftsprache nicht intuitiv erfassen kann. In der Therapie gilt es, seine bisher erlebte Überforderungssituation bei schriftsprachlichen Arbeiten in Schule und Elternhaus zu beenden, um seine emotionale Belastung durch erfahrene Misserfolge aufzuheben. Das bedeutet an seiner Nullfehlergrenze zu starten, seinen Lern-Leistungsmöglichkeiten sowie seinem Lerntempo angemessen im Schwierigkeitsgrad steigend voranzuschreiten, um es zunehmend zu befähigen, eine bewusste Kontrolle seines Lese- und Schreibvorganges vorzunehmen. Dies wiederum mit dem erklärten Ziel, neben seiner steigenden Schriftsprachkompetenz einen eigenverantwortlichen Umgang mit seinen individuellen LRS-Problemen zu erlangen, denn nur auf diese Weise sind Transfer in die Schulsituation und Langzeiterfolge zu erwarten.
Diese Orientierung am Entwicklungsprozess des Schriftspracherwerbs im Gegensatz zur Bearbeitung individueller Fehlerschwerpunkte hat neben den systematischen Aufbaumöglichkeiten der deutschen Orthographie den entscheidenden Vorteil, dass dem Kind die Gesetzmäßigkeiten der deutschen Schriftsprache Stück für Stück in ihrer Gesamtheit verständlich und nachvollziehbar werden. Dies erleichtert Transfermöglichkeiten (Übertragung des Gelernten) auf nicht geübte Wörter gleichen Schwierigkeitsgrades. Bereits seit langem gibt es wissenschaftliche Abhandlungen, die darlegen, dass ein Verfahren zur Behandlung von Legasthenie um so erfolgreicher ist, je systematischer es aufgebaut wurde. Erfahrungen haben gezeigt, dass legasthene Kinder oft selbst auf der Suche sind, System und Logik in die Rechtschreibung zu entdecken. Das hier vorgestellte Therapiekonzept kommt dem entscheidend entgegen. Ziel ist die Vermittlung einer langfristigen, sicheren Lese-Rechtschreibkompetenz, die nur durch eine systematische Arbeit am Schriftspracherwerbsprozess, nicht aber durch kurzfristiges Fehlertraining erreicht werden kann.
Wichtige Bestandteile des Therapiekonzepts
Das Therapiekonzept setzt sich zusammen aus so genannter lautgetreuer Lese- Rechtschreibförderung mit Hilfe der Silbensegmentierung (Durchgliederung von Wörtern in Sprechsilben), dem Aufbau kognitiven Regelwissens auf der Basis einer gesicherten lautgetreuen Lese-Rechtschreibfähigkeit mit Hilfe einer eingeschränkten Morphemsegmentierung (Durchgliederung von Wörtern in Bedeutungseinheiten) und dem Training von Speicherwörtern wiederum auf der Basis der erlernten Morphemsegmentierung. Es integriert senso-motorisch orientierte, den Lese- und Schreibvorgang steuernde Methoden (Lautgebärdeneinsatz und rhythmisches Syllabieren) sowie verhaltenstherapeutische Verstärker.
Das Therapiekonzept sieht vor, vier elementare Bestandteile konsequent miteinander zu verknüpfen, um auf der Grundlage dieses integrativen Vorgehens ein strategiegeleitetes Lernen zu ermöglichen.
Zweckbezogene Sprachsystematik |
lautanalytisch ausgewähltes Wortmaterial |
sensomotorisch orientierte / sprachstrukturierende Methoden |
verhaltenstherapeutische Verstärkung |
Nutzbarmachung der Häufigkeiten der deutschen Orthographie
Grundlage der lautgetreuen Lese-Rechtschreibförderung und des weiteren Trainings zum Erlernen von Regeln und Ausnahmen ist das konzeptionelle Vorgehen vom Häufigen zum Seltenen und vom Leichten zum Schweren voranzuschreiten. Am häufigsten schreiben wir so, wie wir korrekt sprechen können; denn die deutsche Schriftsprache kann bei bewusst gesteuerter Artikulation (bei Einsatz der so genannten "Pilotsprache") zu ca. 60 % als lautgetreu bzw. mitsprechbar definiert werden. Zugleich ist es für das Kind beim Lesen- und Schreibenlernen am leichtesten mit diesen "Mitsprechwörtern" - die eine 1:1 Beziehung zwischen Laut und Buchstaben repräsentieren - zu beginnen. Diese werden wiederum in sechs steigende Schwierigkeitsstufen (Phonemstufen) eingeteilt. Zu Beginn trainiert das lernende Kind steuernde Lese- und Schreibstrategien mit einfach strukturierten Wörtern ohne Konsonantenhäufung innerhalb einer Silbe (Phonemstufe 1 und 2), um dann zu Wörtern mit Konsonantenhäufungen (Phonemstufe 3 und 4) überzugehen usw. Dieses sprachsystematisch aufbauende Vorgehen mit ausschließlich "mitsprechbarem" Wortmaterial hat für das legasthene Kind den Vorzug, dass es nicht überfordert wird und gleichzeitig zuerst den größten Teil der Fehler vermeiden lernt, was Selbstvertrauen und Lernmotivation erheblich steigert; ein aus psychotherapeutischer Sicht sehr wichtiger Gesichtspunkt.
Erst wenn das Schreiben der "Mitsprechwörter" weitgehend beherrscht wird, geht das Training zu regelhaften Abweichungen von der Lauttreue, den so genannten Regelwörtern (ca. 30% Vorkommnisse in der deutschen Orthographie) über, um dann anschließend zu den Ausnahmefällen (ca. 10%) zu kommen. Während des gesamten Lernprozesses wird konsequent nur exakt lautanalytisch ausgewähltes Wortmaterial - stets dem Lernstand des Kindes entsprechend - eingesetzt.
Eine auf das Therapiekonzept bezogene Kategorisierung des Niedersächsischen Grundwortschatzes ergab folgendes Bild:
Niedersächsischer Grundwortschatz (1419 Wörter):
Niedersächsischer Grundwortschatz (lautgetreuer Anteil 858 Wörter):
Behandlung in mehreren Therapiephasen
- Training der lautorientierten/phonemischen Strategie: Neben der sicheren Laut-Buchstaben-Zuordnung beim Schreiben unter Einsatz von Lautgebärden ist das Erlernen der richtigen Silbengliederung unter Einbeziehung der gesamten Körpermotorik im Sprechrhythmus mit anschließendem synchronen Sprechschreiben (rhythmisches Syllabieren) ein entscheidender Bestandteil der ersten Therapiephase. Die Lesefertigkeit wird bei Bedarf mit Hilfe der Lautgebärden entwickelt. Sie helfen, die Laut-Buchstabenzuordnungen bewusster sprechmotorisch zu erfassen, insofern akustisch genauer zu differenzieren und auch zu speichern, die Synthese von Lauten zur Silbe und dann zum Wort gelingt leichter durch die verbindende Handmotorik. Das Lesetraining erfolgt mit lautem Silbenbögenlesen unter lautgetreues Wort- und Textmaterial, dem jeweiligen Lernstand entsprechend.
- Training der orthographischen/morphemischen Strategie: In der zweiten Therapiephase wird schrittweise die Morphemsegmentierung (Durchgliederung von Wörtern nach Bedeutungseinheiten) als weitere sprachstrukturierende Methode trainiert, um zunächst regelhafte Abweichungen von der Lauttreue besser erfassen zu können. Gestartet wird dabei mit den Anfangsmorphemen (Vorsilben), so dass zunächst keine Interferenzen mit der zuvor trainierten Silbengliederung entstehen. Können Anfangs- und Endmorpheme von Wörtern sicher abgegliedert werden, so ist das Hauptmorphem (Wortstamm) klar erkennbar, welches ggf. das eigentliche Rechtschreibproblem enthält, nämlich die Notwendigkeit des Ableitens von einem verwandten Wort. Vier übergeordnete Ableitungsstrategien geben dem lernenden Kind eine konkrete Hilfe, dies sicher herauszubekommen.
- In einer dritten Therapiephase gilt es - wenn es sich als notwendig erweisen sollte - die orthographische/morphemische Strategie zu erweitern und Ausnahmewörter zu speichern; dies ebenfalls in einer sinnvollen Systematik basierend auf der erlernten Morphemsegmentierung.
Verhaltenstherapeutische Verstärker und psychotherapeutische Elemente
Lese-Rechtschreibfertigkeiten sind in fast allen Lebensbereichen, vor allem aber im Schulalltag, unerlässlich. Legasthene Kinder werden täglich mit ihrer Schwäche konfrontiert, was zu erheblichen emotionalen Problemen mit Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Aus diesem Grunde, aber auch um diesen oft Kraft und Zeit raubenden Lernprozess erfolgreich durchhalten zu können, benötigt das legasthene Kind besondere emotionale Unterstützung. An dieser Stelle ist die Zusammenarbeit mit den Eltern als wichtigste emotionale Bezugspersonen enorm wichtig. So wird beispielsweise eine Honorierung der außerschulischen Bemühungen des Kindes - denn Erwachsene neigen dazu, zusätzliches Training als selbstverständlich zu begreifen - nach Einhaltung von Abmachungen als verhaltenstherapeutische Verstärkung vereinbart.
Lernmotivation erhaltend für das Kind sind besonders die konkret erfahrbaren und wachsenden Erfolge in seiner Lese-Rechtschreibentwicklung. Bei einer systematischen, dem Lerntempo des Kindes angemessenen Vorgehensweise gewinnt es nach und nach auch eine emotionale Sicherheit im Umgang mit Schriftsprache. Dies trägt dazu bei, die vorherige Misserfolgsorientierung abzubauen.
Für den Fall einer Stagnation im Lernprozess muss die Behandlung auch kompetente psychotherapeutische Elemente integrieren. Emotionale Befindlichkeit, lernhemmende Verhaltensprobleme sowie Eltern und Lehrer werden in die Behandlung einbezogen. Je früher dies bei auftauchenden Problemen geschieht, um so besser lassen sich schwerwiegende soziale Folgen vermeiden. Angewandt werden vor allem Elemente aus der Verhaltenstherapie und nicht-direktiver Gesprächspsychotherapie.
Diese verantwortungsvolle Arbeit findet natürlich unter Supervision statt.
Weitere Vorteile des Therapiekonzepts:
- planbare Therapiezeit
- ständige Dokumentation des Therapieerfolges durch Erfolgskontrollen
- Transparenz des Behandlungsvorgehens für alle Beteiligten