Psychosynthese
Psychosynthese
Stand: 02.04.2015
Text: Dr. Sabine Khalsa, Berlin
Personale und Transpersonale Psychosynthese
Während die Psychosynthese in Deutschland eher unbekannt ist, wird sie in Schweden sogar an den Universitäten erforscht und zählt dort zu den bekannten und anerkannten Verfahren. Auch in England und Italien ist sie weiter verbreitet als bei uns.
Die Psychosynthese wurde nach 1910 von dem italienischen Psychiater und Psychoanalytiker Roberto Assagioli (1888-1974) begründet - einem Schüler Freud?s. Im Gegensatz zu Freud ging Assagioli davon aus, dass sich im Unterbewusstsein nicht nur alles ?Verdrängte?, ?Unerlaubte? und ?Schreckliche? befindet. Vielmehr ist das Unterbewusstsein auch die Ebene, die unsere positiven Kräfte behütet und bewahrt. Dazu gehören z.B. die ?innere Weisheit?, die eigene ?Größe?, wenn sie nie gelebt werden durfte, die ?Willenskraft?, wenn sie sich nicht entwickeln durfte, usw.
Assagioli unterschied eine personale und in eine transpersonale Ebene. Es handelt sich somit um eine ?ganzheitliche Psychologie?, welche auch östliches und westlich-mystisches Gedankengut integriert. Damit ist die Psychosynthese in Weltbild, Herangehensweise und Zielsetzung anders als die meisten bekannten Therapieverfahren.
Personale und Transpersonale Psychosynthese können sowohl der Therapie als auch der Persönlichkeitsentwicklung dienen. Die Trennung zwischen personaler und transpersonaler Ebene ist dabei eher theoretischer Art. In der Praxis zeigt sich häufig, dass die Ressourcen der Höheren Ebene unsere personale Entwicklung unterstützen und umgekehrt.
Personale Psychosynthese
Die Personale Psychosynthese fördert die Fähigkeiten im Umgang mit den praktischen Realitäten des Lebens und bewegt sich damit auf derselben Ebene wie die bekannteren Psychotherapien.
Assagioli?s Verständnis von psychischen Störungen
Nach Assagioli entstehen psychische Störungen dadurch, dass bestimmte schwierige oder traumatische Situationen (nicht nur während der Kindheit allein) zu starken gedanklichen und emotionalen Reaktionen führen. In Anlehnung an Freud?s Modell spaltet sich in diesem Moment ?Energie? aus dem ICH (unserer Mitte) ab. Es entsteht eine Teilpersönlichkeit, (z.B. der innere Feigling, Draufgänger, Streber, der Gierschlund, das verletzte innere Kind, der Trotzkopf, ... usw.).
Wenn nicht mit ihnen gearbeitet wird, bleiben diese Teilpersönlichkeiten bestehen und werden durch ähnliche Situationen immer wieder aktiviert. Nicht alle Teilpersönlichkeiten sind für uns problematisch. Sie stellen nur dann eine ?Störung? dar, wenn sie unser Lebensglück ?stören? oder uns blockieren: Z.B., wenn wir eigentlich Karriere machen wollen, aber an unserem Vorgesetzten nicht vorbei kommen, weil er den ?Rebellen? in uns aktiviert. Im Falle unserer autoritären Eltern rettete uns diese Teilpersönlichkeit zwar die Integrität, doch jetzt ... ? Oder, wir reagieren in wichtigen und herausfordernden Situationen mit lähmender Angst, Depressivität, Inaktivität oder/und Rückzug, weil uns vielleicht nie etwas zugetraut wurde und wir sofort in den ?Versager? schlüpfen.
Hier ist es wichtig anzuerkennen, dass alle Menschen mehr oder weniger problematische Teilpersönlichkeiten haben. Man ist deshalb weder schizophren, noch haben wir es mit Multipler Persönlichkeitsstörung zu tun. Die Arbeit mit den Teilpersönlichkeiten ermöglicht vielmehr, einen Zugang zur Symbol- und Bilderwelt des Unterbewusstseins zu bekommen. Das bedeutet, dass wir unsere ?Störungen? nicht nur intellektuell verstehen und lediglich wissen, wo sie herkommen, sondern dass wir sie mit der Zeit auch gefühlsmäßig ?erlösen? können.
Die Arbeit mit den Teilpersönlichkeiten
Heilung bedeutet in der Personalen Psychosynthese, die Energien, die in diesen Teilpersönlichkeits-Abspaltungen ihr Eigenleben haben, wieder dem ICH zur Verfügung zu stellen und dieses dadurch zu stärken. Um einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen, lernt man zunächst, sich von seinen Teilpersönlichkeiten zu disidentifizieren. D.h., man macht sich bewusst, dass man selbst nicht diese Teilpersönlichkeit ist, sondern dass man einen solchen Teil hat.
Die Arbeit gliedert sich in 5 Schritte:
- Erkennen dass es diesen Teil gibt
- Akzeptieren Frieden damit schließen, dass er da ist ? auch wenn ich ihnnoch so wenig mag
- Koordinieren den Teil kennen lernen, seine positiven Fähigkeiten allmählich in das Leben mit einbeziehen. D.h., das ICH nimmt den Teil unter seine Regie.
- Transformieren Auflösen der Teilpersönlichkeit und Verwandlung in einen Aspekt des ICH?s
- Synthese Dies ist das völlige Aufgehen des geläuterten Wesensaspekts in das ICH.
Besserungen sind jedoch nicht erst nach dem 5. Schritt - der Synthese ? spürbar, sondern meist bringt schon der 1. Schritt - das Erkennen - eine erste Erleichterung und setzt den Heilungsprozess in Gang.
Selbsttherapie & Persönlichkeitswachstum
Hat man die Arbeit mit den Teilpersönlichkeiten ein paar mal mit Unterstützung gemacht und gelernt, wie es geht, kann man dies auch für sich alleine machen und somit seine Entwicklung unabhängig vom Therapeuten voranbringen.
Auch ist das Prinzip der Disidentifikation im Alltag anwendbar und in schwierigen Situationen hilfreich. So kann man sich nicht nur von Teilpersönlichkeiten, sondern auch von seinen Gefühlen, seinen Gedanken, seinem Verstand, seinen Bedürfnissen, seinen Zielen etc. disidentifizieren lernen.
Transpersonale Psychosynthese
In der Transpersonalen Psychosynthese werden über den Kontakt mit den höheren Energien (Höheres oder Transpersonales Selbst) die Entwicklung und Verstärkung von Kreativität, Intuition und Inspiration angeregt.
Gleichzeitig bedeutet die bewusste Berücksichtigung dieser Ebene, dass spirituelle Krisen auch als solche gewürdigt werden können und nicht pathologisiert werden müssen.
Ziel
Das Ziel auf der personalen Ebene ist, ein stabiles und starkes ICH zu entfalten: Je mehr Teilpersönlichkeiten ?kooperationsfähig? wurden oder gar eine Synthese mit dem ICH eingegangen sind, um so stärker, gelassener, normaler, glücklicher, liebesfähiger wird die Person. Gleichzeitig wird dieses gestärkte ICH aber auch immer bereiter, die Energien des Höheren Selbst aufzunehmen, umzusetzen und ins tägliche Leben zu bringen. Das spirituelle Wachstum profitiert somit vom Persönlichkeitswachstum.
Kritische Lebensereignisse und Psychosynthese
Zu den kritischen Lebensereignissen gehören Ereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen, Trennung, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes, Berentung, schwere körperliche Erkrankung, ... . Das sind Zeiten, in denen man seinen äußeren Halt verlieren kann.
Nicht jeder braucht deshalb gleich eine langjährige Psychotherapie. Doch leidet in solchen Zeiten oft das Wohlbefinden, was man dann womöglich mit vermehrtem Konsum von sogenannten Alltagsdrogen (Alkohol, Nikotin, Koffein, aber auch der Missbrauch von Beruhigungs-, Schlaf- oder Aufputschmittel) zu kompensieren sucht. Es besteht somit die Gefahr, zu den unbewältigten Problemen auch noch eine psychische oder körperliche Abhängigkeit zu entwickeln.
Die Psychosynthese kann das, was im Äußeren verloren gegangen ist, sicher nicht zurückbringen. Doch kann sie helfen, einen inneren Halt zu finden. So stärkt sie ja u.a. das Bewusstsein für den Teil, von dem alle Weltreligionen und spirituellen Richtungen behaupten, dass er den Tod überdauert. Psychosynthese fördert den Zugang zu unser Seele und ihren Ressourcen.