Manchmal braucht es vor allem eines: Zeit im Team

Manchmal braucht es vor allem eines: Zeit im Team

Samstag früh, kein Mensch auf der Straße, ich bin im Auftrag der Stimme unterwegs: Ein Workshop auf dem Lande, Stimmbildung mit einem Gesangsverein samt der Chorleitung und einem verzagten Vorstand. Am Telefon hieß es, die Organisation dieses Tages sei mühsam gewesen, einigen habe scheinbar die Lust gefehlt, andere kämen nicht gerne an Wochenenden, die Rückmeldungen kamen zögerlich, die gesamte Planung sei der Vorsitzenden überlassen worden.

Es ist nicht immer leicht

Gähnende Leere auf dem Parkplatz, doch da rollt ein Auto vor: Die Vorsitzende begrüßt mich, schließt auf, lüftet, stellt Stühle, telefoniert wegen des Mittagessens, schaltet die Therme für den Kaffee ein. „Ähm, gibt es hier ein Verlängerungskabel?“ Ich traue mich kaum zu fragen.

Die Sänger*innen trudeln ein, die Chorleitung stellt sich vor, der Kassenwart spricht mich an, erste stimmliche Fragen werden unter vier Augen gestellt - und: Manege frei, der Workshop kann beginnen. 

Ich irritiere gerne zu Beginn: „Singen hat nichts mit Entspannung zu tun!“ WHÄM - alle halten die Luft an und ich sehe auf so mancher Stirn geschrieben: „Aber das soll doch Spaß machen hier, ich mag mich nicht (nur) anstrengen…“ - bis hin zu: „Wie konnten wir die nur für teuer Geld einladen.“

Man muss es mit Humor sehen

Die Sorgenfalten lösen sich, denn der humorvoll vorgehaltene Spiegel über die Passivität vieler Sänger*innen und das Abschieben der Gesamtverantwortung auf den Chorleiter, belustigt die Reihen. Ist es wirklich nötig, dass wir als Chorsänger*innen regelmäßig erinnert werden müssen, wie wir uns halten, artikulieren oder atmen? Müsste das nicht zumeist in der Eigenverantwortung der Sänger*innen liegen? Sollte die Chorleitung nicht für die musikalische Einstudierung verantwortlich sein und die Sänger*innen ein gewisses Maß an Arbeitsfähigkeit in die Probe einbringen!? Ich sehe einige zustimmende Gesichter, andere wirken nachdenklich. Natürlich kann ich auch Skepsis erkennen. Es kommt die Frage auf, ob der Chorleiter mir heimlich ein Zusatzhonorar bezahlt. Wildes Gelächter, die Vorsitzende scheint zu entspannen, es läuft!

Beim Singen bedarf es einer körperlich-seelischen Teamarbeit. Stimme und Stimmung bedingen sich ebenso wie Luftdruck und Schwingung, Maske und Strahlkraft, Erdung und Aufrichtung. Alles gemeinsam macht den schönen Klang aus; ein inneres Team im Einklang, klare Rollenverteilung und Kommunikation.

Wir singen, probieren, lachen… ein anregender Workshop geht zu Ende.

Was ist mit dem Gemeinschaftsgefühl?

Auf dem Rückweg geht mir die Vorsitzende durch den Kopf. Sollte die Vorstandsarbeit nicht auch geprägt sein vom Teamgefühl? Was läuft da falsch, warum war sie so ganz auf sich allein gestellt? Ich denke an meine Erfahrungen mit der Supervision von Teams: Es geht u. a. um Themen wie Grenzen, Kommunikation, Rollenklarheit, die Leitung. Es geht um die Furcht „Nein“ zu sagen, nicht zu gefallen, dazu gehören zu wollen und so die eigenen Grenzen aus dem Blick zu verlieren.

Sind Chorsänger*innen nicht irgendwie dazu verdonnert, passiv zu sein? Sie sollen ja das machen, was die Chorleitung sagt. Natürlich sind sie stimmlich aktiv und es bedarf einer hohen Aktivität, sich musikalisch führen zu lassen. Aber wir alle wissen um die "relative Aktivität“ des Einzelnen. Nicht selten erlebe ich überaktive Chorleitungen und passive Sänger*innen. Vorstände arbeiten wiederum eng mit der Chorleitung zusammen, nicht selten jahr(zehnt)elang nach dem Motto: „Bevor ich lange rede, mache ich es lieber selber.“ Wie sollen Chorsänger*innen also aktiviert werden, Verantwortung für die eigene Stimme oder den Verein übernehmen? Wie bekomme ich als Vorsitzende mehr Unterstützung aus dem Vorstandsteam oder gar dem Chor? 

Grenzen

Für besagte Vorsitzende könnte es ein erster Schritt sein  aufzulisten, welche Aufgaben im Laufe eines Vereinsjahres anfallen. Welche von diesen Aufgaben bin ich bereit abzugeben? Wo sind meine Stärken und Schwächen? Woran habe ich Freude? Was macht mir Stress? Kann mich jemand unterstützen und wenn ja, wie? Oftmals sind wir schnell beim „wer“ - hilfreicher kann sein, zunächst zu klären, was, wie getan werden muss. Eine Aufgabe rund um die Finanzen muss nicht zwingend ein Finanzbeamter erledigen, die Öffentlichkeitsarbeit nicht der singende Pfarrer im Chor. Wir wollen in unserer Freizeit andere Stärken ausleben, nicht immer die professionellen.

Kommunikation

Nun könnten im Vorstandsteam klare Beschreibungen der Tätigkeiten erarbeitet werden. Gibt es Aufgaben, die auf der langen Bank liegen? Möchte jemand etwas abgeben, das ihn stresst? Wo entsteht Stress? Fühlt sich jemand unterfordert?

Es gilt zu kommunizieren, wo die eigenen Grenzen sind. Überschneiden sich Zuständigkeitsbereiche? Ist die Aufgabenverteilung gerecht? Kann bei Chormitgliedern Unterstützung angefragt werden? Das Visualisieren der verteilten Aufgaben und Personen kann weitere Klarheit schaffen. Durch eine wertschätzende Kommunikation können Ängste und Befürchtungen Raum bekommen und im Gespräch überwunden werden. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn nicht alles auf Anhieb und perfekt klappt. Es darf gefragt und gegebenenfalls auch wieder geändert werden. Man hängt nicht auf Gedeih und Verderb mit einer Aufgabe über Jahre drin. Nichts ist in Stein gemeißelt, Vorstands- bzw. Vereinsarbeit ist ein Prozess. Solche Prozesse brauchen vor allem eines: Zeit - im Team! Manchmal braucht es auch Begleitung von aussen.

Rollenklarheit

Die Vorsitzende schlüpft also in die Rolle der Leitung. Sie aktiviert die Sänger*innen, motiviert und konfrontiert. Ihre Aufgaben sollten weniger bei Therme und Mittagessen liegen. Sie steuert, organisiert, vertritt den Verein nach innen und aussen. Es gilt, auch das Vorstandsteam zu motivieren und wenn nötig ihm ab und zu den Spiegel vorzuhalten. Manchmal muss auch etwas kontrolliert werden, auch die Arbeit im Team. So können alle in ihre(n) Rollen wachsen. 

 Leitung

Die Vorsitzende ist die organisatorische Leitung des Chores. Sie hat sich aus der Komfortzone des Chores gewagt und glaubt an der Passivität der anderen zu verzweifeln. Dabei macht diese, im Sinne von Anpassungsfähigkeit, das Chorgefüge aus. Chorproben sind in den seltensten Fällen basisdemokratisch. Wie also mit der Passivität umgehen? Was heißt das konkret für die Vorsitzende, an die ich gerade während meiner Rückfahrt denke? 

Die eigenen Grenzen erkennen, sprechen, loslassen, spiegeln. Die Rolle der Leitung annehmen. Klare Ansagen sind für Chorleiter*innen das täglich Brot, davon dürfen sich die Vorsitzenden eine maßgeschneiderte Scheibe abschneiden.

Hach wie schön, das Garagentor steht schon offen. Wieder einmal liegt ein spannender Workshop zur chorischen Stimmbildung hinter mir, mit guten Begegnungen und intensiver Arbeit. Ich bleibe noch einen kurzen Moment im Auto sitzen und schreibe eine Nachricht: „Danke für die tolle Orga heute. Es war ein schöner Tag mit ihnen allen. Herzliche Grüße, Helen van Almsick“

 

Weitere Informationen:
https://lesen.zeitschrift-singen.de/de/profiles/dd4a8d2f3553-zeitschrift-singen/editions/singen-november-2020/pages/page/8

Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
Helen van Almsick, Supervisorin DGSv, , 87616 Marktoberdorf
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, 87616 Marktoberdorf
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