Systemische Therapie

Systemische Therapie

Stand: 02.04.2015

Als Systemische Therapie (auch: Systemische Familientherapie bzw. Systemische Organisationsentwicklung oder Systemisches Coaching) wird eine psychotherapeutische Fachrichtung beschrieben, in der Systemische Zusammenhänge und interpersonelle Beziehungen in einer Gruppe als Grundlage für die Diagnose und Therapie von seelischen Beschwerden und interpersonellen Konflikten betrachtet werden.

Geschichte

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden mit der Relativitätstheorie neue Aspekte in der Wahrnehmung der Welt und dessen, was wir "Realität" nennen entwickelt. Die wahrgenommene Realität stellte sich von nun an je nach Sichtweise des Betrachters anders dar. Der Biologe Ludwig von Bertalanffy, als Begründer der Allgemeinen Systemtheorie war auf der Suche nach einem Modell, welches allgemeingültig auf die verschiedensten Systeme angewandt werden konnte und entwickelte hierzu eine Metatheorie. Seine Darstellung entstand mit Hilfe seiner Beobachtungen gemeinsamer Gesetzmäßigkeiten und deren prinzipieller Grundlagen.

Ein System ist hierbei ...eine aus Elementen bestehende Einheit, die aus mehr als der bloßen Summe dieser Elemente zu verstehen ist. Es besteht ebenfalls aus der Beziehung dieser Elemente untereinander und zu anderen Systemen. Diese Wechselwirkungen sind nicht ausschließlich Ergebnis der Eigenschaften der Elemente, sondern ergeben sich auch aus der Beziehung der Elemente untereinander und können etwas Neues entwickeln, das nicht mehr auf die Eigenschaften der Elemente zurückzuführen ist.

Familientherapeutisches Denken entwickelte sich so in den Jahren des 20 Jahrhunderts im Kontext der neuen Wissenszweige der Kybernetik und der Systemtheorie. Im Laufe der Zeit haben sich methodisches Vorgehen und zugrundeliegende Prämissen differenziert, so dass sich heute mehrere Schulen voneinander abgrenzen: strukturelle und strategische Familientherapie, aber auch Mehrgenerationenfamilientherapie und die weniger therapeutisch als organisatorisch ausgerichteten Modelle der Systemischen Organisationsentwicklung.

Die lösungsorientierte Therapie betrachtet hierbei allerdings nicht die Familie als System (mit den Familienmitgliedern als Elementen), sondern modelliert das gesamte Therapiegeschehen als Prozess der Entwicklung.

Da die ehemals "familientherapeutischen" Zugangsweisen zunehmend auch auf andere Systeme wie Wirtschaftsunternehmen oder politische Systeme angewandt werden können, hat der hieraus für den Bereich der sog. "lernenden Organisation" entwickelte generalisierte Ansatz außerdem auch Elemente der Betriebswirtschaftslehre, insb. der Aufbauorganisation und Ablauforganisation sowie des Projektmanagement integriert.

Da hierbei jedoch keine pathologischen Krankheitsmerkmale vorliegen, wird im Allgemeinen hier auch nicht von Therapie, sondern eher von Unternehmensberatung und Coaching bzw. Supervision gesprochen, wobei die Prinzipien und Vorgehensweisen letztlich die gleichen bleiben, Erkenntnisprozesse jedoch i.d.R. im Team öffentlich gemacht werden. Ein Umstand, der diese Art der systemischen Beratung klar vom therapeutischen Ansatz trennt.

Theorieentwicklung

Die Grundlagen der Systemischen Therapie basieren auf den Werken von Gregory Bateson (resp. des Double Bind/Doppelbindung Modells) und sind des weiteren geprägt von der Philosophie des radikalen Konstruktivismus (Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Ernst von Glasersfeld) sowie den Ansätzen von Steve de Shazer, als Begründer des Lösungsorientierten Ansatzes, Kurt Ludewig, der vor allem die Grundlagen klinischer Theorie und Praxis in der Systemischen Therapie und ihre weiteren theoretischen Grundlagen gelegt hat, sowie Paul Watzlawick. Die gehäufte Nennung des Bezuges zu Niklas Luhmann und seinem Grundlagenwerk Soziale Systeme ist jedoch mehr symbolischer Natur und findet im Detail der Therapiediskussion kaum Berücksichtigung.

Im Bereich von Beratung und Therapie gibt es ein großes Angebot von hilfreichen Theorien und Verfahren. Viele davon sind wissenschaftlich gut abgesichert und ohne Zweifel sehr hilfreich. Diese Theorien bzw. Verfahren treten auf dem "Therapie- und Beratungsmarkt" in Konkurrenz. Dieser oft konstruktive Wettstreit hat neben einer weiteren Profilierung der Verfahren auch zu einer Vermischung derselbigen geführt. Therapeutische Ansätze, wie sie beispielsweise von der systemischen Familientherapie, der Transaktionsanalyse, der wissenschaftlichen Gespächspsychotherapie oder vom Psychodrama vorgestellt werden, ergänzen sich ausgezeichnet. Sie erweitern - sofern der Berater dies bejaht und zulässt - dessen methodische Kompetenz und kommen dem Klienten zugute. Auch die "Systemische Beratung" ist im Wandel.

In der Praxis wird der systemische Ansatz daher oft von Beratern bzw. Therapeuten angeboten, die mehr als eine Zusatzqualifikation oder Fortbildung im psychologischen bzw. betriebswirtschaftlichen oder sozialarbeiterischen Kontext mitbringen. Die Entwicklung geht hin zum "Generalisten", der aus der praktischen Erfahrung schöpfend auf eine Vielzahl von Methoden aus wiederum mehreren Theorien zurückgreifen kann.

Therapieansatz

Der klassisch aus der Systemischen Familientherapie entwickelte Ansatz sieht das familiäre System bzw. das organisatorische System eines Unternehmens als Ressource, auf dem das einzelne Mitglied sowohl seine Fähigkeiten und Stärken entwickeln, als auch Verhaltensstörungen entwickeln kann. Zeigt ein Mitglied der Familie oder Unternehmung psychische oder Verhaltensauffälligkeiten, so wird der Betreffende als ?Symptomträger? für das Gesamtsystem betrachtet. Dies kann sich in typischen privaten Konflikten mit dem Partner, aber auch in immer wiederkehrenden Problemen mit Kunden oder Kollegen zeigen. Der "Kranke" wird als "Indexpatient" oder Symptomträger bezeichnet.

Systemische Therapie kann als Klinische Sozialarbeit verstanden werden. Klinische Sozialarbeit ist eine gesundheitsspezifische Fachsozialarbeit ("klinisch" bedeutet "behandelnd"). Ihr generelles Ziel ist die Einbeziehung der sozialarbeiterischen Aspekte in die Beratung, Behandlung und Unterstützung von exkludierten(isolierten), gefährdeten, erkrankten und behinderten Menschen. Fokus ist die Person-in-ihrer-Welt (person-in-environment) im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Verständnisses von Gesundheit, Störung und sozialer Probleme.

Vorgehensweise

Die Elemente der "Systemischen Beratung" beziehen generell ganzheitliche Fragestellungen mit ein. Anliegen oder als schwierig und konflikthaft empfundene Situationen betrachtet der Therapeut oder Coach aus verschiedenen Beziehungsebenen. Hierbei gilt eine Analogie aus der Physik: Je nach Standort finden Sie auf die scheinbar gleiche Frage mehrere "richtige" Antworten. Der Standort definiert sich hier durch das System, durch das Element und seine Beziehungen zu anderen Elementen.

Systemische Beratung ermöglicht den Beteiligten:

  • die Wahrnehmung neuer, bisher unbekannter Perspektiven
  • Verständnis für die Haltung der übrigen Beteiligten
  • die Analyse von Mustern in Kommunikations- und Interaktionsvorgängen
  • angemessene Interventionen
  • die ganzheitliche Hypothesenbildung

Mit dieser Zielvorstellung wird dann der eigentliche, auf Veränderung und Ressourcenkräftigung gerichtete beraterische Prozess gesteuert. Einzelne Bausteine dieser Pragmatik ergeben sich aus der Beschreibung der einzelnen Module:

  • Arbeit mit analogen Gestaltungen und verbalen Visualisierungen
  • Zirkuläre Fragen, die den Standpunkt Dritter wiedergeben
  • positives Konnotieren, die wertschätzende Haltung gegenüber zirkulären Ursachen
  • Umdeutung (Reframing von Verhaltenskontexten, um die Bewertung der Verhaltensweisen zu verändern
  • Paradoxe Intervention, gegenläufige Ratschläge die den Teilnehmer in Bewegung bringen
  • Hausaufgabe für zwischen den Sitzungen, oft i.S. einer Paradoxen Intervention
  • Metaphernarbeit, Parabeln und Geschichten als indirekte Aufforderung doch selbst zu handeln
  • gezieltes provokatives Aussprechen möglicher Annahmen betroffener Kommunikationsteilnehmer
  • Ausnahmen zu erlebter Wahrnehmung beharrlich erfragen, nötigenfalls durch Paraphrasieren
  • Gestaltarbeit, die Übersetzung ausgedrückter Stimmungen mit Händen und dem Körper des Teilnehmers
  • hypothetische Verankerung positiver Entwicklungsszenarien mittels Konjunktion
  • Skulptur, darstellen von Familienbeziehungen als Standbild im Raum
  • Genogramm, Soziogramm, die grafische Darstellung der sozialen Beziehungen im System.

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