Familienaufstellungen als heilsamer Weg
Familienaufstellungen als heilsamer Weg
03.09.2010
Die Arbeit mit Aufstellungen hat in den letzten Jahren viele Menschen erreicht. Es gibt Systemaufstellungen, Organisationsaufstellungen, Familien-aufstellungen, Symptomaufstellungen, um nur einige zu nennen. Sowohl privat als auch beruflich werden Aufstellungen genutzt, um hemmende Beziehungen eines Systems erkennen und verändern zu können. Aufstellungen haben Eingang in viele Lebensbereiche und Berufsfelder gefunden und damit den Rahmen der Therapie schon längst überschritten. In Pädagogik, Politik, Medizin, Wirtschaft und in vielen anderen Gebieten wird die Arbeit mit Aufstellungen sehr erfolgreich eingesetzt.
Trotz allem ist die Aufstellungsarbeit schwer zu erklären. Dr. Renate Wirth, systemische Therapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie, leitet in Berlin und anderen Orten Deutschlands und Österreich seit vielen Jahren Aufstellungsseminare und bildet in Aufstellungsarbeit aus. In ihrer Praxis nahe Berlin arbeitet sie neben dem Gespräch überwiegend mit der Methode der Einzelaufstellung. Sie leitete bisher mehr als 1.000 Aufstellungen und hat Antworten auf die vielen Fragen zum Phänomen der Aufstellungsarbeit.
Wie wirken denn eigentlich Aufstellungen
Dr. Renate Wirth:
"Das Phänomen der Aufstellungen ist die sogenannte repräsentierende Wahrnehmung. Der Klient stellt Stellvertreter im Raum für die Personen auf, die an seinem Problem beteiligt sind. Diese Personen kennen den Klienten nicht, sie kennen die Personen nicht, die sie vertreten, sie sind also fremd. Das Phänomen dabei ist, dass die Stellvertreter Gefühle wahrnehmen, die nicht zu ihnen selbst, sondern zur Person gehören, für die sie stellvertretend stehen."
Warum können fremde Menschen plötzlich stellvertretend Wahrnehmungen haben, die sie im normalen Leben nicht erfahren?
Dr. Renate Wirth:
"Diese Situation stösst im Allgemeinen auf Unverständnis und Zweifel. Vom Zweifler zum Glaubenden wird man, wenn man zum ersten Mal in einer Stellvertreterrolle gestanden hat und diese Fremdgefühle am eigenen Leib erlebt hat. Denn man erfährt plötzlich eine völlig neue Dimension der menschlichen Wahrnehmung. Immer mehr Naturwissenschaftler gehen heute davon aus, dass es neben unserer rational zu verstehenden Welt noch eine transmentale oder transrationale Welt gibt, in der sich die Wirklichkeit unserem logischen Denken entzieht. Quantenphysiker sprechen von einem Quantenfeld, in dem alles miteinander verbunden ist und alles mit allem kommunizieren kann.
Der englischer Biologe Ruppert Sheldrake prägte den Begriff des "Morphischen Feldes" und der "Morphischen Resonanz". Morphische Felder sind fähig, Informationen zu registrieren. Sie verfügen über eine gewisse Art von Gedächtnis und sind weitgehend unabhängig von Zeit und Raum. Morphische Felder sind genau so real wie Gravitationsfelder oder Magnetfelder, an deren Existenz heute niemand mehr zweifelt. Sie sind überall in der Natur zu finden.
Es gibt inzwischen wissenschaftliche Studien, die das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung belegen. Wie dieses Phänomen jedoch wirkt, dazu wird es in den kommenden Jahren mit Sicherheit noch neue Erkenntnisse geben."
Familienaufstellungen werden immer bekannter. Man sagt, es sei eine tiefe und heilsame Erfahrung. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dr. Renate Wirth:
"Unser Denken und unsere Wahrnehmung sind sehr eingeschränkt. Wir können nur das wahrnehmen, was wir aus unserer eigenen Erfahrung kennen. Wenn wir zum Beispiel während der Meditation unsere Gedanken beobachten, ist das so in etwa immer wieder das Gleiche. Viel Neues kommt da nicht dazu.
Als Columbus nach Amerika kam, konnten die Ureinwohner die Segelschiffe nicht sehen, weil sie noch nie ein Schiff mit Segeln gesehen hatten. Segelschiffe existierten nicht in ihrer Erfahrung!
Also - nur was wir wirklich selbst erfahren haben, gehört zu unseren Denk- und Gefühlsmöglichkeiten. Nur neue Erfahrungen schaffen neues Denken und Fühlen."
Ermöglicht das Familienstellen Erfahrung zu machen, die so im Leben nicht möglich wäre?
Dr. Renate Wirth:
"Ja, so ist es. Es geht beim Familienstellen meist um Leid und um Schicksal, das Leid verursacht hat. Ein Klient hat selbst Leid oder jemand aus seiner Familie hat leidvolle Erfahrungen gemacht, die sich auf das Leben auswirken. Ist beispielsweise der Vater früh gestorben, ein Geschwister oder jemand in der Familie ist vermisst oder alkoholkrank oder stark behindert oder, oder, oder... Das ist Schicksal. Das geht in der Familie an den anderen nicht spurlos vorbei. Es ist eine leidvolle Erfahrung, mit der müssen alle leben.
In der Aufstellungsarbeit kann der Mensch eine neue Erfahrung machen, die er so im Leben nicht machen kann. Das kann ein Abschied sein oder ein Zustimmen oder was auch immer in der ganz speziellen Situation heilsam ist. In Einklang zu kommen mit allen Menschen aus seinem System. Das ist heilsam. Wenn alle dazugehören dürfen. Und das Herz sich öffnen kann. Für die Liebe."
Was hat denn die Liebe mit Leid zu tun?
Dr. Renate Wirth:
"Nun, das haben wir ja schon alle einmal im Leben erfahren: Liebe und Leid gehören in bestimmten Aspekten zusammen. Wenn wir das Leid nicht wollen und das Herz für denjenigen verschließen, der es uns angetan hat, dann hat auch die Liebe als zugehöriger Aspekt keine Chance. Und dieses "Liebe-zulassen-können" im eigenen Herzen, dass heilt."
Es geht also darum, als erstes das Leid anzunehmen?
Dr. Renate Wirth:
"Ja! Aber das sagt sich so einfach. Der Klient kann es aber nicht. Gerade das ist das Problem. Wenn es ginge, hätte er es ja schon getan.
Wir als Aufsteller müssen den ersten Schritt tun. Das heißt als erstes: wir nehmen die Situation so ins Herz, wie sie ist. Das Leid, die Täter, die Ausgeschlossenen, alle, die zum System gehören, mit allem, was passiert ist. Ich öffne allen und allem mein Herz. Ohne zu werten. Bin einfach nur da und halte es aus. So baut sich ein Feld auf; dass sogenannte heilende Feld. Und es heißt als zweites, dem Klienten die Erfahrung zu ermöglichen, das zu seinem Leid, zu seinem Hass, seiner Angst oder Wut, seiner Suche und Verzweiflung die Liebe gehört. Und dass er aus Liebe leidet.Es geht nur, wenn er diese Erfahrung selbst machen kann. Wenn er diese Erfahrung in seinem Herzen spüren kann. Als "innerer seelischer Vollzug im Herzen", wie mein Freund und Lehrer Harald Homberger so schön sagt."
Was genau bedeutet ein "innerer seelischer Vollzug im Herzen"?
Dr. Renate Wirth:
"Was vollzieht sich da im Herzen? Als Aufsteller kann man ja nicht im Herzen des Klienten rumrühren, damit sich etwas "innerseelisch vollzieht". Man kann keine Lösung ?machen?. Wir können nur Angebote machen, die der Klient als neue Erfahrung erlebt. Beispielsweise durch einen Blick in die Augen dessen, der ihm dieses Leid zugefügt hat. Wenn er dessen Liebe sieht, vollzieht sich vielleicht etwas in seinem Herzen. So er kann spüren, wo seine Seele hin will, was sie wirklich will.
Oder durch einen Satz. Wenn der Klient ihn als Wahrheit empfindet, kann er eine neue Erfahrung machen, die sein Herz bewegt. Oder durch ein Bild. Wenn er sieht, welchen Bewegungen und Bindungen der andere folgt und unterliegt. Wo das eigentlich herkommt, was auf ihn wirkt. Oder durch ein "Ja, so war es". Durch ein Zustimmen zu dem, was war..Diese Erfahrungen sind im "normalen Leben" außerhalb der Aufstellung nicht möglich. Zum Beispiel den Abschied von einem Toten zu fühlen oder von einem abgetriebenen Kind. Da vollzieht sich Heilung auf der Seelenebene. Das hat mit unserem Denken wenig zu tun. Es vollzieht sich von selbst im Herzen. Wenn wir still und achtsam sind."
Ist das Problem oder Leid nach der Aufstellung sofort gelöst oder muss man noch warten?
Dr. Renate Wirth:
"Beides kann zutreffen. Manchmal vollzieht sich die neue heilsame Erfahrung sofort, als hätte sie schon lange darauf gewartet. Meist aber ist der Satz oder das Bild oder die ganze Aufstellung wie ein Tor, durch das der Klient gehen kann, um dahinter in der Welt des Alltags neue Erfahrungen zu machen. Die Aufstellung zeigt den Weg, aber gehen muss ihn der Klient nach der Aufstellung selbst. Er macht die heilsame Erfahrung also später, erst nach dem Seminar. Doch dieses Tor, durch das er geht, empfindet er schon als heilsam, weil es endlich einen Weg und neue Hoffnung ermöglicht.
Beispielsweise, wenn die Liebe zur Mutter in der Kindheit durch Trennung oder Schmerz unterbrochen wurde. Da ist der Satz zur Mutter in der Aufstellung dann vielleicht nur nachgesprochen, mit einem leichten Erstaunen, vielleicht auch mit innerer Abwehr. Doch beim nächsten Kontakt mit der Mutter geht diese Bewegung weiter, der Blick ist ein anderer, und deshalb schaut die Mutter auch anders zurück. Oder die Aufstellung hat auch sie erreicht, obwohl sie nicht dabei war. Und jetzt wird eine neue Erfahrung möglich. Also erst nach der Aufstellung. Manchmal erst Wochen oder Monate später.Wie schnell das geht, das ist von Mensch zu Mensch verschieden, und von Aufstellung zu Aufstellung. Keine Aufstellung ist gleich. Niemals. Da muss man jedes Mal ganz neu schauen."
Kommt es auch vor, dass eine Aufstellung keine neuen Erfahrungen und Lösungen zeigt, also sozusagen umsonst war?
Dr. Renate Wirth:
"Natürlich kann ich nicht für alle sprechen, sondern nur für mich. Ich habe es schon erlebt, dass der Klient die Lösung nicht nimmt. Weil er sich etwas anderes erhofft hat, weil die Lösung vielleicht einen Verzicht bedeutet, zu dem er zu diesem Zeitpunkt nicht bereit ist. Das achte ich dann. Seine Seele führt, nicht ich. Und ich bin im Einklang mit ihm und dem großen Ganzen. Ob die Aufstellung dann umsonst war, glaube ich nicht. Der Klient hat eine neue Erfahrung gemacht. Ich bin sicher, dass geht im Inneren weiter. Denn er wäre nicht gekommen, wenn nicht ein Aspekt in ihm offen wäre und sucht.
Manchmal, aber eher selten, kommt es vor, dass der Klient das Gefühl hat, er sei im falschen Film und das Ganze habe mit ihm nichts zu tun, es gehe an ihm vorbei. Und auch das geht weiter. Er kann es erst einmal nicht sehen, vielleicht ist er verstrickt oder mit jemandem identifiziert. Oder es kommt zunächst einmal Zorn. Der das dahinterliegende Gefühl verdeckt. Und auch das geht weiter. Es geschieht auch, dass die Aufstellung unmittelbar wirkt, die Wirkung aber sich dann wieder entzieht, energetisch nicht gehalten werden kann. Dann ist ein erster Schritt getan und es bedarf vielleicht noch einer anderen Lösung im System und eines zweiten Schrittes. Auch das ist möglich. Ich denke eher, dass die Erwartungen oft sehr hoch sind. Dass der Klient meist erst dann kommt, wenn alles andere nicht geholfen hat. Dann wird das Wunder der Aufstellung manchmal überstrapaziert. Meist wirkt dann erst mal ein kleineres Wunder.Also, dass sich nichts bewegt glaube ich nicht. Und ich hoffe, dass sich immer etwas zum Guten bewegt. Das sich die Seele zur Liebe und Heilung ausrichtet. Und wenn es nur eine kleine Bewegung ist. Über die Zeit wirkt sie heilsam."
Gibt es auch eine falsche Lösung?
Dr. Renate Wirth:
"Aufstellungen zu leiten ist eine große Verantwortung. Es ist Ernst, kein Spiel. Ich rede hier von der Aufstellungsweise, die als "Bewegungen der Seele" bezeichnet wird. Ich denke, dass alle Aufsteller, die damit arbeiten, von einer größeren Kraft in den Dienst genommen werden, diese Arbeit zu tun.
Man kann sie nur mit größter Achtsamkeit tun. Und mit Liebe. Mit Liebe für den Klienten und für alle, die zu seinem System gehören. Mit Liebe für das große Ganze, das weit über uns hinausreicht und in das wir alle eingebunden sind. Und mit Liebe als Aufsteller für dich selbst. Der Klient muss spüren können, dass du mit dir selbst im Einklang bist, dass du selbst in deiner Mitte bist. Diese Arbeit geht nur mit gegenseitiger Wertschätzung. Und höchster Achtsamkeit für den Moment. Denn der Aufsteller macht ja keine Lösung. Er hält das energetische Feld, damit sich die Lösung vollziehen kann. Natürlich sind Aufsteller auch nur Menschen. Vielleicht nehme ich mal eine Bewegung nicht wahr, wenn beispielsweise etwas überlagert wird oder ich Bewegungen nicht fühle. Oder das System etwas noch nicht frei gibt. Weil es ein Tabu gibt in der Familie oder ein Geheimnis. Oder es ist noch nicht Zeit, weil sich Anderes erst vollziehen muss. Auch das ist möglich.Aber wenn der Aufsteller ganz im gegenwärtigen Moment ist, wenn er dem Feld und seiner Wahrnehmung vertraut und sich vom Feld leiten lässt, wenn er sich ganz zur Verfügung stellt, er vielleicht noch einen meditativen Weg geht, gibt es keine "falschen" Lösungen. So sehe ich das heute."
Es gibt mittlerweile so viele Aufstellungsarten, Sie arbeiten mit den sogenannten "Bewegungen der Seele", einer Aufstellungsform, die sehr still ist. Kann das jeder lernen, oder braucht es eine besondere Gabe, um Aufstellungen leiten zu können?
Dr. Renate Wirth:
"Da ist zuerst die Erkenntnis, dass es noch mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als was man sehen und anfassen kann. Und wie schon gesagt, eine besondere innere Haltung ist Voraussetzung. Das Arbeiten im gegenwärtigen Moment. Mutig und demütig, achtsam und mit einer ausgeprägten Wahrnehmung.
Ja, das kann man lernen. Und eine gewisse Sicht auf die Welt, auf das "Große Ganze", auf das, was die alten Meditationswege als Seele oder das Göttliche oder den großen Geist bezeichnen. Und dazu kommt das Wissen um systemische Zusammenhänge. Das braucht es natürlich auch."
Sie nennen das Wissen um systemische Zusammenhänge eine Voraussetzung, um Aufstellungen leiten zu können. Kann jeder dieses systemische Wissen erlernen?
Dr. Renate Wirth:
"Bert Hellinger beispielsweise hat viele Erkenntnisse in seiner Arbeit gewonnen. Es ist inzwischen eine eigene Wissenschaft entstanden, die systemische Arbeit. Dazu gehören die Ordnungen der Liebe, persönliches und kollektives Gewissen, Bindung, Rangfolge und Zugehörigkeit, die Bewegungen der Seele und die Bewegungen des Geistes, um nur einige zu nennen. Durch die weltweite Arbeit von Bert Hellinger und vieler namhafter Aufsteller, die seine Arbeit weiterentwickelt, neue Erkenntnisse hinzu gewonnen und veröffentlicht haben, hat sich die Aufstellungsarbeit in den letzten Jahren in unglaublicher Schnelligkeit ausgebreitet.
Dieses Grundlagenwissen kann man lernen, wie jede andere Wissenschaft auch. Doch genauso wichtig wie dieses Wissen, ist die Haltung des Aufstellers. Sie setzt menschliche Wertschätzung und eine besondere innere Haltung voraus. Auch diese Haltung kann man lernen. Und ich gehe noch einen Schritt weiter. Man kann sie nicht nur lernen. Ich bin der Meinung, man muss sie auch lernen. Nur das Wissen um die systemischen Zusammenhänge allein reicht meiner Ansicht nach nicht aus. Beides gehört zusammen."
Nun bleibt noch die Frage zu den Ausbildungsmöglichkeiten. Braucht man Voraussetzungen, um eine Ausbildung machen zu können? Welchen Abschluss gibt es dafür?
Dr. Renate Wirth:
"Viele Aufsteller bieten eine Ausbildung an. Im Internet kann man auf verschiedenen Seiten Ausbildungen finden. Generell macht es Sinn, den Aufsteller vorher in seiner Arbeitsweise kennenzulernen, zum Beispiel, indem man an seinen Seminaren teilnimmt. Die Ausbildungsdauer ist verschieden, auch die Kosten für die Ausbildung differieren. Derzeit gibt es noch keine einheitlichen Ausbildungsrichtlinien. Zum Abschluss der Ausbildung erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat. Die Bestrebungen der Deutschen Gesellschaft für Systemaufstellungen, der DGfS und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für systemische Lösungen IAG, sind derzeit darauf ausgerichtet, Ausbildungsrichtlinien festzulegen und Studiengänge mit wissenschaftlicher Ausrichtung zu etablieren. Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Was sie bewirkt, wird die nahe Zukunft zeigen."
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