ADOPTION - Wenn Adoption Spuren hinterlässt
ADOPTION - Wenn Adoption Spuren hinterlässt
27.08.2019
Als Enkelin eines Adoptionssohnes weiß ich, wie sich dieses trennende Ereignis von Loslassen und Neubeginn auf die folgenden Generationen auswirken kann. Als Therapeutin durfte ich die Erfahrung machen, was es für Adoptivkinder und –Eltern bedeutet und welche Herausforderungen und mentale Vorurteile es zu meistern gilt.
Mit Adoptivkindern zu arbeiten bedeutet immer, beide Familiensysteme und deren Dynamik zu beachten. Erwachsene Adoptivkinder aus der Zeit von Krieg, Flucht oder Grenzen überschreitend tragen eine geschichtliche und kulturelle Thematik zusätzlich zur emotionalen Belastung.
Doch was bedeutet Adoption emotional? Mütter die ihr Kind zur Adoption frei geben entscheiden nicht spontan nach der Geburt. Sie hegen den Gedanken schon während der gesamten Schwangerschaft. Selbst sollte die Atmosphäre im Mutterleib wohlwollend sein, ist das Thema Trennung unbewusst allgegenwertig. In den meisten Fällen besteht eine große Not, sonst würden die Mütter es nicht tun. Eine schwerwiegende Entscheidung wird gefällt.
Manche Mütter entscheiden zwischen Abtreibung und Adoption. Hier geht es um eine Entscheidung um Leben und Tod. Diese Energie ist das Umfeld, in dem sich ein neues Leben entwickelt. Dies wirkt sich auf den neuen Menschen emotional und körperlich aus (Anspannung, Nervosität, schwere Selbstregulierung, chronische Schmerzen). Ist Liebe von Seiten der Mutter vorhanden, ist diese mit Schmerz gekoppelt. Sicherheit hat hier keinen Platz. Auch wenn sich die Mutter durch die Adoption vielleicht nichts sehnlicher für Ihr Kind wünscht als Sicherheit und eine gute Zukunft. Dennoch sind die ersten prägenden Gefühlserfahrungen des neuen Menschen ambivalent.
Oft entscheidet das Geschlecht (in anderen Kulturen), ob das Kind behalten wird oder nicht. Auch eine Komponente die in der späteren Verarbeitung eine Rolle spielen kann. Wieso bin ich das Geschlecht geworden, welches nicht bleiben durfte.
Die Empfängnis der Adoptivkinder hat auch großen Einfluss auf die emotionale Entwicklung und Bewältigungsstrategien im weiteren Leben. Sind es starke Hierarchien der Geschlechter, Gewalt an der Frau, dem jungen Mädchen, der Grund des Geschlechtsverkehrs oder war es einfach nur ein Verhütungsfehler von ausgelassenen Teenagern?
Bei älteren Generationen haben nicht immer die Mütter allein darüber entschieden, was mit dem Kind geschehen soll. Sie waren gefangen, ohne Stimme und mussten tun, was es zu tun galt. Mangel war nicht immer allein der Grund, auch das Ansehen musste gewahrt werden.
Je nachdem was der Grund auch gewesen sein mag, alles hinterlässt bei dem Kind seine Spuren und die eine Frage, wieso?
Es gibt Menschen, die in ein unglückliches Familiensystem/Umfeld hineingeboren werden und sich irgendwann wünschten, sie wären adoptiert. Diese Menschen sehnen sich aus der Not heraus nach einer besseren Alternative, einer zweiten Chance.
Und diese zweite Chance ist die Antwort. Adoptivkinder erhalten eine zweite Chance auf ein besseres Leben. Bei Menschen, die es lieben, schätzen, sich um es kümmern können. Eltern die sich ein Kind wünschen und die über die materialistischen Mittel und die Emotionsfähigkeit verfügen.
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Egal ob in Aufstellungen oder Einzelsitzungen, das was nach der lösenden Arbeit bleibt, ist ein Verständnis für die Umstände. Eigene Vorteile und falsche Glaubensmuster werden erkannt. Auch die neue Familie erhält die Möglichkeit die Einstellung zu der Geschichte des Kindes und deren Ursprungsfamilie neu zu überdenken. Viele belastende Fragen, Urteile und Prägungen werden losgelassen.
Zu verstehen, wieso die Mutter so handeln musste. Es für diese auch keine leichte Entscheidung gewesen ist. Sie vielleicht auch gar nicht gefragt wurde. Es von Kraft zeugt, wenn die Mutter ungewollt ein Kind austrägt oder loslassen kann, um dem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Einsicht der Mutter, es selbst nicht bewerkstelligen zu können, Größe bedeutet. Man selbst mit der Entscheidung nichts zu tun hat. Es allein die Gründe der Mutter waren.
Waren die Umstände in der Ursprungsfamilie gewaltvoll, kann man positiv nach vorne blicken und erkennen, welches Glück man hatte dort nicht aufwachsen zu müssen. Bei Abtreibungsversuchen erkennt man die eigene Kraft, der Wille zu leben. „Egal was war, ich wollte leben.“
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Das ist worum es für uns alle geht. Zu leben. Egal wie wir ins Leben kommen, wir alle verfolgen nur das eine, zu sein! Das ist unsere intuitive Macht. Es gibt genug Kinder, die sich noch während der Schwangerschaft gegen das Leben entscheiden oder dem frühen Kindstod erliegen. Diese haben sich warum auch immer (alles hat seinen Sinn) anders entschieden.
Adoption ist der Weg in eine Familie auf Umwegen. Zum einen im Gepäck das emotionale Paket der Mutter (des Vaters), sehr wahrscheinlich keine Chance auf erste Bindungserfahrungen und möglicherweise noch ungünstige Erfahrungen aus einem Heim oder Pflegefamilie(n). Der Start war eher ungünstig. Doch das lässt sich verarbeiten, lösen und nachnähren.
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Eltern von Adoptivkindern sind hier sehr gefordert. Selbst leibliche Kinder ohne Bindungserfahrungen aus Schwangerschaft und erstem Lebensjahr werden irgendwann auffällig durch Defizite oder anstrengend durch Verhaltensauffälligkeiten. In der Regel Kinder von traumatisierten Müttern.
Adoptiveltern können dieses Defizit an Vertrauen und Bindungsverhalten, mit einer bewussten, beobachtenden und wohlwollenden Haltung ausgleichen. Hier muss man erkennen, dass das Kind keine Möglichkeit hatte, diverse Fähigkeiten (Bindung/Vertrauen/Bewältigung) zu erfahren, zu entwickeln und für sich zu integrieren. Niemand hat Schuld, man muss nur wissen wie man damit umgeht um diesen Mangel so schnell wie möglich zu lindern.
Folgende Punkte können Adoptiveltern ermöglichen in stürmischen Zeiten eine bewusste, liebevolle Einstellung zu bewahren:
- Verständnis für die Not der Kinder. Wutanfälle, Trauer, Schuldgefühle, Selbstverletzung und dergleichen, sind der Ausdruck von großer Not.
- Nichts persönlich nehmen. Kinder können auch ohne schlechten Start verletzend und provokativ sein. Es sind Versuche, Grenzen auszutesten und diese mit Liebe zu erfahren.
- Selbstreflektion - Wie sehe ich mein Adoptivkind? Als vollwertiges Kind, dass frei und fröhlich lebt? Oder als armes Opfer seiner Geschichte? Was traue ich meinem Kind zu? Habe ich Erwartungen oder gar Ängste?
- Wie stehe ich zu der Geschichte meines Adoptivkindes? Zu seinen biologischen Eltern? Bedaure ich diese Menschen und was sie getan haben? Oder ist es mir möglich ihnen zu danken, dass sie mir ihr Kind gegeben haben? Dass durch sie mein Kind ins Leben fand? Achte ich deren Schicksal und bin ich frei von Urteilen über ihr Handeln? Erkenne und akzeptiere ich die Kraft in dem Handeln der Mutter?
- Kinder lösen in uns mit ihrem Sein und Tun etwas aus. Kann ich dies klar benennen? Hat es was mit mir allein zu tun oder mit uns als Familie?
- Adoption ist eine Herausforderung die es nur als Familie zu meistern gilt. Sehen Sie Ihre Familie immer als ein unschlagbares Team. Nicht umsonst haben Sie zusammengefunden. Seien Sie achtsam und offen für das was eine Familie so schön macht.
- Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie Parallelen zwischen sich und dem Kind entdecken. Das ist Ihre Gelegenheit, auch für sich etwas zu verstehen und zu lösen.
- Wie sehe ich mich als Adoptiv-Mutter bzw. Adoptiv-Vater? Kann ich die Gründe akzeptieren, wieso ich kein leibliches Kind empfangen/zeugen konnte? Wie sehe ich mich selber mit diesem Schicksal? Was macht das mit mir als Frau / Mann? Was glaube ich über meine Weiblichkeit / Männlichkeit? Wie stehe ich zu meinem Körper?
- Ist nur ein Partner unfruchtbar, wie geht man in der Partnerschaft damit um?
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Seien Sie offen für die Gefühle und Antworten die Sie wahrnehmen werden, wenn Sie die oben genannten Fragen ehrlich beantworten. So erhalten Sie das momentane Bild der Situation. Welches sich bei Nichtgefallen, neu überdenken und gestalten lässt.
Das Adoptivkind wird von dem biologischen Familiensystem in die Welt gebracht und durch das System der Adoptiveltern ein Leben lang begleitet. In einer Aufstellung erhält das Kind doppelte Rückendeckung aber auch zweifache Lösungsmöglichkeiten. Es sind starke Menschen, sonst hätten sie sich diesen Weg nicht ausgesucht.
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Zum Thema, wann sage ich meinem Kind, dass es adoptiert worden ist?
Hier appelliere ich immer an die Intuition der Eltern. Man darf sich nicht verrückt manchen lassen von irgendwelchen Empfehlungen oder Vorgaben. Wie sollen Sie Ihr Familienglück genießen können, wenn nebenbei ein Countdown läuft. Rein aus therapeutischer Sicht, würde ich kein Kind mit dieser Information in viel zu jungen Jahren überfordern. Selbst wenn man aufgrund der Hautfarbe* klar erkennen kann, dass das Kind auf Umwegen zur Familie fand, empfehle ich immer Fragen kindlich und phantasievoll zu beantworten. „Du bist ein Wunder!“ „Hast Deinen ganz eigenen Weg genommen!“ „Wir haben uns Dich genauso gewünscht!“
Stellen Sie sich vor, man hätte Ihnen im Alter von drei, fünf, sieben Jahren gesagt, sie wären nicht von Ihren Eltern.
Faktoren wie die aktuelle psychische Stabilität des Kindes, deren Bewältigungsfähigkeiten, kognitive Entwicklung sowie die Bindung zur Adoptivfamilie müssen unbedingt berücksichtigt werden.
Verlassen Sie sich auf Ihr Herz. Es ist Ihr Kind. Keiner kennt Ihr Kind besser als Sie. Wünschen Sie sich genau den richtigen Zeitpunkt. In diesem wird es Ihnen ganz leicht fallen, die biologische Komponente zu klären. Machen Sie sich Ihre Ängsten und andern schlechten Gefühlen diesbezüglich bewusst und hinterfragen Sie diese. Hören Sie nicht auf die Erfahrungen anderer Adoptivfamilien. Sie sind nicht die und die sind nicht Sie. Kreieren Sie Ihr ganz eigenes Miteinander. So wie Ihr Kind ein vollwertiger Mensch mit eigener Entstehungsgeschichte ist, sind Sie seine Mutter, sein Vater zu 100%. Verantwortung, Liebe und Fürsorge sind unmessbar mehr wert als ein DNA Test.
Und sollte es doch zu Herausforderungen neuer Art kommen. Für Sie ist es weniger schlimm, als für Ihr Kind. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, sich in den beiden Familiensystemen zu Recht zu finden oder lassen Sie sich unterstützen.
Statt Probleme, gibt es nur Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Daran zu wachsen/gemeinsam zu wachsen/ zusammen zu wachsen.
Bindung kann man nicht erzwingen. Sie entsteht durch Achtsamkeit, Respekt, emotionaler Nähe, Zuwendung und Handlung in Liebe. Bindung gibt Vertrauen, ein Gefühl von Sicherheit, Geborgensein, satt sein und Nähe. Diese lässt sich durch nichts trennen. Sie bleibt immer bestehen, auch wenn diese mal dicker und mal dünner zu sein scheint.
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Dies möchte ich allen Adoptivkindern und Adoptiveltern bei Ihrer ganz eigenen Herausforderung als Familie auf Umwegen mitgeben und ihnen Mut machen. Man kann nicht alles wissen und muss nicht alles alleine schaffen, denn es gibt Unterstützung.
Meine Arbeit basiert auf der Bindungstheorie von Eltern und Kind, der Traumatherapie sowie der systemischen Betrachtung von Ursprungsfamilie bzw. Adoptivfamilie.
Herzlichst,
Alessandra Königsberger
Weitere Informationen:
https://www.praxis-koenigsberger.de/2019/07/17/adoption/
Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
Alessandra Königsberger, Systemische Traumatherapeutin EMDR, Heilpraktiker Psychotherapie,
Coaching & Traumatherapie EMDR, 82140 Olching
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Kommentare zu diesem Artikel
Sonja Hermann schrieb am 27.08.22 dazu:
Ich muss mich hier zum Thema „Wann sage ich es meinem Kind“ äußern. Zitat: „Rein aus therapeutischer Sicht, würde ich kein Kind mit dieser Information in viel zu jungen Jahren überfordern.“ Ehrlich? Als Adoptierte kann ich hier nur widersprechen. Ich denke es dürfte bekannt und klar sein, dass solche Familienlügen nicht im Verborgenen bleiben. Es wird immer Momente geben wo die Lüge im Weg steht etwas zu äußern wo es gerade angebracht wäre, weil bei Äusserung die Lüge ans Licht käme. Adoptiveltern erfinden Notlügen. Dies hinterlässt beim Adoptivkind ein diffuses Gefühl und jede Menge Verunsicherung zu etwas nicht Greifbarem. Kinder wollen schon sehr früh Teile ihre Identität erfahren. Das gehört einfach stetig dazu. Meinem leiblichen Kind erzähle, was es gleich nach der Geburt gemacht oder im Bauch viel geturnt hat oder oder. Das fehlt alles in Adoptivfamilien - je älter das Kind desto mehr. Es fehlt dadurch innerlich an Verwurzelung, an Identität, an Halt… Gleichzeitig würde ja auch nichts über die Herkunftfamilie, die Adoption, die Umstände,…erzählt und die damit aufkommenden Fragen geklärt werden. Wie soll das Kind die Adoption als ein Teil von sich annehmen oder gar integrieren lernen. Zu denken, dass man das später nachholen könnte ist nicht richtig. Das Adoptivkind baut ja zunehmend ein falsches Selbst auf, das mit Aufdecken der Lüge erstmal komplett zerrüttet und eben nicht korrigiert wird. Vor allem wie stellt es sich der Autor dieses Artikels vor die Adoption vor einem andersfarbigen Kind zu verschweigen? Sorry, aber das erledigen schnell andere Kinder oder gar andere Erwachsene. Und dann? Sind wir beim Thema Vertrauen und kommen darüber zur Bindung… Eventuell sagt es das Kind seinen Adoptiveltern nicht, was es erfahren hat und die Lüge samt allen daraus ergebenden Fragen leben im Kind weiter. Oder es sagt es den Adoptiveltern, die dann doof dastehen. Das Vertrauen ist auf jeden Fall erstmal hinüber. Glückwunsch! Es ist zudem nicht möglich ein Kind mit der Info adoptiert zu sein, zu überfordern. Sonst sollten wir vielleicht auch in Patchworkfamilien oder bei Scheidungskindern unsere Klappe halten. Überfordern. So ein Schmarrn. Ich kann diese Haltung absolut nicht befürworten und Frage mich, ob hier wirklich nachgedacht wurde! Aus meiner Sicht sollten Adoptivfamilien sich nichts versuchen vorzumachen, sozusagen die langersehnte richtige Familie spielen zu wollen. Denn das wird sie nie sein. Eine Adoption ist eine Adoption und keine Schwangerschaft mit Geburt. Eine Adoptivfamilie muss eine Adoptivfamilie sein wollen und es auch entsprechend leben - in allen Facetten und von Anfang an. Ansonsten geht es von Anfang an schief. Dazu gehört auch, dass Herkunft, Adoption und alle Themen herum niemals tabu sind und passend zur Situation sowie Alter des Kindes thematisiert werden. Ich möchte den Autor bitten nochmal gut über seine Aussage nachzudenken und den Artikel gegebenenfalls zu überarbeiten. Viele Grüße