Innere Agilität durch Achtsamkeit
Innere Agilität durch Achtsamkeit
28.09.2020
Agilität scheint im Moment das Zauberwort für die Herausforderungen und die Antwort auf den Wandel in der neuen Arbeitswelt zu sein. Plötzlich sollen selbst traditionelle und hierarchisch geprägte Unternehmen von einem Tag auf den anderen agil werden. Dabei wird gerne übersehen, dass das Unternehmen immer die Summe seiner Mitarbeiter darstellt und das Agilität nur von jedem Einzelnen von innen heraus gelebt werden kann.
Die vier Kernwerte der „Agile Alliance“ aus dem Jahr 2001
Im Kontext von Agilität wird häufig nur von den agilen Methoden gesprochen. Methoden sind jedoch nur Werkzeuge, um ein bestimmtes Anliegen umsetzen zu können. Der Kern des agilen Anliegens wurde bereits im Jahr 2001 formuliert. Das Agile Manifest wurde im Februar 2001 von 17 unabhängigen Software-Praktikern verfasst. Obwohl sich die Teilnehmer über vieles nicht einig waren, fanden sie am Ende doch einen Konsens über vier Kernwerte:
Die Forderung nach Agilität verschärft die Probleme
Das Problem bleibt durch die bloße Forderung nach Veränderungen in Richtung Agilität jedoch bestehen und wird durch die Art und Weise der Umsetzung sogar noch verschärft. Denn das, was die neue Arbeitswelt für Mitarbeiter so anstrengend macht, wird durch die Verordnung von Agilität nicht aus der Welt geschaffen. Die Volatilität, die Unsicherheit und Komplexität bleiben und diese Umstände machen vielen Mitarbeitern Angst. Und alles, was das Gehirn als Gefahr bewertet, aktiviert neuronale Schutzmechanismen. Im schlimmsten Fall wechselt das Gehirn in den "Überlebensmodus" und isoliert das höhere Denken im Frontalhirn vom Rest des Geschehens. Damit sind wichtige Fähigkeiten wie Vertrauen, Kreativität, der Wille zur Kooperation und die Lust auf Wandel nahezu vollständig blockiert. Wenn in diesem Zustand Agilität verlangt wird, ist der Mitarbeiter schlicht nicht in der Lage, dies auch wirklich umzusetzen. Man kann das vergleichen mit einem Moment, in dem man zwei sich hoch emotional streitende Menschen dazu auffordert, ihre Denkweisen und Standpunkte nochmal ruhig und sachlich zu reflektieren. Das Gehirn muss sich erst mal beruhigen und das Adrenalin und Cortisol abbauen, ehe man wieder zu analytischem Denken in der Lage ist. Der Stress der modernen Arbeitswelten löst oft ähnliche biochemische Prozesse und Reaktionen im Gehirn aus. Eine reine Verordnung von Agilität ist somit nicht zielführend. Denn dies verlangt ebenfalls, dass ein mitunter über Jahrzehnte eingeübtes Verhalten und lieb gewonnene Denkweisen über Bord geworfen werden sollen. Dieser Umbau im Gehirn kostet viel mentale Energie, die einem gestressten und bedrohten Gehirn nicht zur Verfügung steht. Neue Chancen werden als Bedrohung wahrgenommen. Und längst nicht jeder Mensch freut sich, dass er nun endlich eigenverantwortlich und selbstbestimmt arbeiten kann – vor allem wenn man sich über viele Jahre an Arbeit nach Anweisung gewöhnt hat.
Wege zu einer agilen Mentalität und Denkweise
Was nicht nur begeisterte Anhänger der New Work Bewegung außerdem gerne übersehen, ist der Unterschied zwischen ihrer Denkweise und der Mentalität von Menschen, die (noch) anders denken. Vielen Menschen fehlt dieses agile Mindset und nur durch diese entsprechende innere Einstellung kann Agilität eine überzeugende Antwort auf die aktuellen Herausforderungen werden. Denn so wie wir denken, werden wir auch bewerten. Und erst aus den Bewertungen entstehen Gefühle und Emotionen. Es geht also darum, für den Wandel günstigere Denkweisen zu erschaffen. Und manch einer ahnt es bereits: auch dies kann nicht verordnet werden. Wir können andere Menschen nicht dazu bringen, ab sofort anders zu denken. Denkweisen können nur durch Reflexion, persönliche Überzeugung und neue Erkenntnis verwandelt werden. Agil handeln kann somit nur ein Mensch, der auch agil denken kann. Dies geschieht nicht über Nacht, da unsere Erfahrungen uns teilweise über Jahrzehnte geprägt haben.
Erfahrung und Kultur macht Mentalität
Die innere Einstellung ist von den Erfahrungen der Vergangenheit, der Kultur unseres Umfeldes und der Erziehung durch die Eltern geprägt worden. Alle diese Erfahrungen sind durch die Verbindung mit Emotionen sehr tief in unserem Gehirn als innere Bilder gespeichert. Diese Bilder lassen sich nicht wie bei einem Computer einfach austauschen und löschen. Jeder neue Reiz veranlasst das Gehirn, nach bekannten Mustern aus der Vergangenheit zu suchen, diese dann aufzurufen und auf bereits vorhandene Lösungsmuster zuzugreifen. Diese neuronalen Autobahnen können nicht einfach dicht gemacht werden. Wer Skitouren in den Bergen geht, der kennt die schön ausgetretenen Aufstiegsspuren zum Gipfel. In ihnen kommt man bequem bis zum Gipfel. Warum sollte man diese Spur verlassen und mühsam durch den Tiefschnee eine neue Spur anlegen? Dafür braucht das Gehirn einen guten Grund, damit es sich wirklich lohnt. Diese guten Gründe sollten nicht nur logisch formuliert, sondern müssen als lohnende Zielbilder gezeichnet und erträumt werden. Dieser Prozess der Reflexion und der Vorstellung ist etwas sehr Persönliches, kann aber durch eine vertrauensvolle Beziehungen von der Führungskraft initiiert und begleitet werden. Bleibt die Frage, wie man zu dieser agilen Denkweise kommen kann?
Wollen wir uns wandeln oder verändern?
Der bekannte Benediktiner Pater und Buchautor Anselm Grün betont in seinen Büchern und Seminaren gerne den Unterschied zwischen Wandel und Veränderung. Wenn Unternehmen etwas verändern wollen, erleben oft, dass sie nicht weiterkommen und die Veränderung am Ende sogar scheitert. Der Grund liegt unter anderem darin, dass im Verändern etwas Aggressives liegt. Ich bin nicht gut. Ich muss ein anderer werden. Alles muss bei mir ganz anders werden. Ich lehne mich in Teilen also selbst ab. Die christliche Antwort auf Veränderungswünsche ist Verwandlung. Verwandlung ist wesentlich sanfter als Veränderung. Verwandlung sagt uns: „Alles darf sein. Würdige Dich so, wie Du geworden bist. Es ist gut, so wie es ist. Aber Du bist noch nicht der oder die, die Du von Deinem Wesen her sein könntest. Das Ziel der Veränderung ist es, ein anderer zu werden. Das Ziel der Verwandlung ist: immer mehr ich selber zu werden.
Vom Zwang zur Wahl: Agilität wird im Innehalten geboren
Eine agile Denkweise bedeutet, dass man sich durch Innehalten und Reflexion mehrere Optionen und Möglichkeiten vorstellen kann. Innehalten bedeutet im ersten Schritt, sich des Raumes zwischen einem Reiz von außen und seiner spontanen Reaktion darauf bewusst zu werden. Wenn dieser Raum zum ersten Mal bewusst wahrgenommen wird, spürt man in der Regel ein großes und manchmal sogar überwältigendes Gefühl von innerer Freiheit. Dies lässt sich am ehesten mit dem Satz „Vom Zwang zur Wahl“ beschreiben. Wenn man diesen Raum für sich entdeckt hat, kann man mit der Gestaltung beginnen. Der Raum lässt sich vergrößern und bietet damit mehr Platz für unterschiedliche Denkweisen und Reaktionen. Diese Fähigkeit der Raumerweiterung lässt sich durch Achtsamkeit Praxis trainieren. Sie hilft uns, durch innere Klarheit seine Automatismen wahrzunehmen und durch das Erkennen neuer Handlungsoptionen die ausgetretenen Spuren alter Denk- und Reaktionsmuster zu verlassen. Achtsamkeit ist damit eine wertvolle Quelle für die Entwicklung einer agilen Denkweise. Das gilt umso mehr in stressigen und negativen Situationen, wo die Gefahr eines Rückfalls in alte Automatismen am größten ist. In solchen Momenten wird das Denken häufig vom sensorischen System unseres Körpers entkoppelt und man ist nicht mehr in der Lage, mit gesundem Menschenverstand und dem Bauchgefühl angemessen in der Situation zu reagieren. Regelmäßige Achtsamkeit Praxis reduziert die Reaktivität des Angstzentrums (Amygdala) im Hirn und sorgt dafür, dass der Verstand auch in stressigen Momenten mit dem sensorischen System in Verbindung bleibt. Agilität ist ohne dieses Bewusstseinsmanagement kaum zu erreichen. Weil Achtsamkeit exakt hier ansetzt, wird sie zu einer wertvollen Praxis für eine innere Agilisierung der Denkweisen von Mitarbeitern und Führungskräften.
Innere Agilität durch Achtsamkeit
Der Einstieg in die Agilität durch Achtsamkeit gelingt einfacher als man vielleicht denkt. Schon kurze Atemübungen im Alltag helfen dabei, das Innehalten im richtigen Moment zu praktizieren. Kurze Momente des geistigen Innehaltens fördern wiederum die bessere Verbindung des Verstands mit dem Bauchgefühl und der Intuition. Die folgende Übung dazu lässt sich sehr gut in nahezu jeden Moment des Alltags integrieren. Stellen Sie sich dazu innerlich diese drei Fragen:
- Was tue ich gerade?
- Wie tue ich es?
- Warum tue ich es?
Auf diese Weise steigt man zum einen aus dem Autopiloten aus und trainiert Präsenz im Alltag. Zum anderen kommt man besser mit seinen aktuellen Bewusstseinszuständen in Kontakt und entwickelt ein besseres Gespür dafür, was gut tut und in welchen Momenten sich Unwohlsein einstellt. Je früher ein negativer Moment erkannt wird, umso lassen sich die Gedanken und die daraus entstehenden Gefühle regulieren.
Achtsamkeit füllt das agile Manifest mit Leben
So lassen sich auch die Kernwerte des agilen Manifestes mit Leben füllen. Die Interaktionen mit Menschen gewinnen eine neue Qualität und können vertieft werden. Die Zusammenarbeit mit Kunden wird enger, da man besser auf seine Bedürfnisse eingehen kann. Durch einen besseren Fokus erhöht sich Konzentrationsfähigkeit und damit auch die Qualität der Arbeit. Nicht zuletzt ist ein agiles Mindset die beste Grundlage für Wandel und damit für eine kontinuierliche Entwicklung, die auf lange Sicht zu mehr Wachstum führt.
Weitere Informationen:
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Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
Stefan Spiecker, Führungstrainer, Resilienztrainer, Coach,
Peak Potentials, 69126 Heidelberg
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