Hypnotherapie bei akuten und chronischen Schmerzen
Hypnotherapie bei akuten und chronischen Schmerzen
20.02.2015
Akute und chronische Schmerzen sind das Leitsymptom vieler Krankheiten. Sie vermindern die Lebensqualität und wirken sich negativ auf die Psyche des Menschen aus. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schlafstörungen und Depressionen sind nur einige Nebenerscheinungen länger anhaltender Schmerzzustände. Hinzu kommen Angstzustände z.B. vor der Unberechenbarkeit einer Schmerzattacke und der Länge des Schmerzzustandes. Der punktuelle Schmerz kann sich dann unbehandelt schnell zu einem komplexen Schmerzsyndrom ausweiten.
Während der akute Schmerz z. B. Bei einer Verletzung als Warn- und Schutzfunktion akzeptiert werden kann, wird der chronische Schmerz als „sinnlos“ empfunden. (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes).
Chronifizierte Schmerzen gehören zu den größten Gesundheitsproblemen der Industrieländer und stellen somit auch ein gesellschaftliches und sozialpolitisches Problem dar, denn die medizinischen Pflege- und Behandlungskosten, verbunden mit Arbeitsausfällen und Frühverrentungen, verursachen Kosten in Milliardenhöhe (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2004).
Hinzu kommt, dass Schmerzpatienten für eine adäquate Behandlung jahrelange Wartezeiten haben, von einem Arzt zum anderen wechseln und oft auch unnötige operative Behandlungen durchlaufen, die häufig noch zu einer Verschlimmerung des Zustandes führen. (Pfingsten & Nilges, 2007). Nicht selten werden Schmerzpatienten mit Psychopharmaka „stillgelegt“, die nebenbei zu anderen Schädigungen führen können, wie z.B. zur Schädigungen des Magen-Darm-Trakts, Blutbildveränderungen oder Leber- und Nierenschädigungen.
Es gibt Ursachen für Schmerzen, die nicht heilbar sind, wie z.B. eine genetische Veranlagung. Durch die Hoffnungslosigkeit der davon Betroffenen geht dann in vielen Fällen der empfundene Schmerz über die tatsächliche Schmerzursache hinaus. Wiederholende, langwierige Schmerzen manifestieren sich in einem sog. Schmerzgedächtnis, wobei der Schmerz noch besteht, die eigentliche Ursache aber schon geheilt ist. Es kommt zur Schmerzkrankheit und der Betroffene wird zum Schmerzpatienten (Koch, 2008).
Nach den heutigen Erkenntnissen ist der subjektiv empfundene chronische Schmerz immer multifaktoriell, d.h. er setzt sich aus der Stimmung, der Lebenseinstellung, und emotionalen und verhaltensbedingten Faktoren des Klienten zusammen. Auch soziale und familiäre Umstände wirken mit (Sonnenmoser, 2005).
Deshalb hat sich die Behandlung chronischer Schmerzen mit Hilfe der Psychotherapie als wirksam erwiesen (Seemann, 2008). Schmerzen, deren auslösende Ursache erkannt und therapiert werden können, verschwinden binnen kurzer Zeit.
Mittels Schmerzpsychotherapie hat der Klient die Möglichkeit selbst aktiv an seiner Heilung teilzunehmen. Subjektiv wird er zum eigenen Experten seiner Beschwerden (Seemann, 2008).
Hier greift die Hypnosebehandlung. Die Hypnotherapie gehört zu den therapeutisch wirksamsten Techniken der Schmerzpsychotherapie.
Dabei sollte eine medizinische Begleitbehandlung nicht unbedingt ausgeschlossen werden. Eine Kombination von Psycho-, Medikamenten- und invasiver Therapie ist bei komplexen Schmerzpatienten sehr erfolgreich (Labouvie et al., 2009). Ziel ist dann eine erhebliche Minderung des Medikamentenverbrauchs und eine Verbesserung des gesundheitlichen Empfindens. Außerdem soll die Angst vor dem Schmerz genommen werden.
Dabei ist nicht Schmerzfreiheit das Ziel, sondern Schmerzlinderung.
Mehrere wissenschaftliche Studien belegen inzwischen die Wirksamkeit der Hypnose bei Krankheiten. Eine 2005 herausgegebene Studie von Dr. Jacobs aus dem Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie der Göttinger Universität veröffentlichte nach der Untersuchung an 28 Schmerzpatienten (chronischen Rückenschmerzen, Migräne und Rheumaschmerzen) folgende Ergebnisse:
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60 - 75 % konnten auf ihre vorher eingenommenen Medikamente verzichten.
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Die Dosis bei Analgetica konnte um 60 Prozent, bei Antidepressiva um 63 Prozent und bei Opiaten sogar um 75 Prozent gesenkt werden.
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Chronische Schmerzen wie z.B. Reizdarm konnten gänzlich geheilt werden.( Eine in Manchester durchgeführte Studie mit mehr als 200 Patienten hat laut "Apotheken Umschau" Apotheken (Umschau B 03/04) mit zwölf einstündigen Hypnose-Sitzungen bei 71 Prozent von einer nachhaltigen Besserung berichtet. Die Wirkung hielt bis zu sechs Jahre an.)
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Die Verminderung des Schmerzempfindens blieb bei der Überzahl der Probanden mehrere Wochen stabil.
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Die Besserung des körperlichen wie auch psychischen Wohlbefindens hat sich gesteigert, sodass sie wieder arbeitsfähig waren und nicht mehr gesellschaftlich zurückzogen.
„Erstmals steht mit unserem Verfahren eine effektive, hoch wirksame Methode zur Schmerzreduktion zur Verfügung“, so Dr. Jacobs. Das Programm mit zehn Sitzungen ist für Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzte in einem Lehrbuch „Verhaltenstherapeutische Hypnose bei chronischen Schmerz. Ein Kurzprogramm zur Behandlung chronischer Schmerzen“ (Hogrefe & Huber) nachzulesen.
Durch Hypnose erreicht der Klient ein sog. Kontroll-System-Bewusstsein (Gate Control Theorie nach Melzack und Wall). Nach den Kenntnissen von Melzack und Wall können nur bestimmte Reize unser Bewusstsein erreichen. Diesem Wirkmechanismus entsprechen auch Morphine und Opiate. Nach dieser Theorie können Schmerzimpulse gehemmt werden.
Jedes körpereigene, im Gehirn wahrgenommene Schmerzhemmsystem, ist individuell und situationsbezogen. So kann bei Schocksituationen der Schmerz erst gar nicht wahrgenommen werden. Mit dieser Theorie lässt sich auch erklären, weshalb jeder Mensch ein unterschiedliches Schmerzempfinden hat oder die Fähigkeit einen Schmerz durch einen anderen Schmerz zu überlagern, z.B. durch Druck auf den Bauch bei Bauchschmerzen. Die Hypnose macht sich dieses Tor-System unseres Bewusstseins zu nutze. Von einem guten Hypnotherapeuten erlernt der Schmerzpatient die Kontrolle über seine Körperfunktionen. Der Schmerzpatient erreicht eine "Schmerz-Kontrolle".
Die Hypnotherapie greift aktiv in die Schmerzwahrnehmung- und Verarbeitung des Klienten ein. Er beginnt eigene Mechanismen zu entwickeln, die ihn in Schmerzsituationen helfen.
Die Hypnosebehandlung ist dabei ein wesentlicher Teil der Psychotherapie. Physiologisch bilden Stress und Schmerzen eine Einheit. Im gestressten Zustand verspannen sich die Muskeln, man ist in einem psychovegetativen Erregungszustand. Im Zustand der Hypnose erreicht der Patient einen optimalen Entspannungszustand. Dadurch, dass der Stress- und Erregungszustand gesenkt oder ausgeschaltet wird, kommt es zu einem Wohlbefinden, das den Schmerz in den Hintergrund drängt.
Die Konzentration richtet sich nun auf Ruhe und Gelassenheit. Der schmerzfördernde Stress wird dabei abgebaut. Es kommt zu einem vegetativen Umschaltprozess, nachweislich durch eine Reduzierung des Muskeltonus, der Herzfrequenz, Blut- und Atemfrequenz, ein Absinken von Stresshormonen im Blut sowie einer vermehrten Durchblutung der Extremitäten (Rehfisch & Basler, 2007).
Ausgiebigen Forschungsergebnissen nach hat Hypnose durch die verminderte Ausschüttung von Stresshormonen eine positive Auswirkung auf das Immunsystem. Gleichzeitig kommt es zu einer Veränderung des Blutbildes (Bongartz 2000).
Durch wiederholte Hypnosebehandlungen soll der Patient in der Lage sein bewusst in diesen angenehmen Entspannungszustand zu gelangen. Der schmerzauslösenden Situation soll bewusst entgegnet werden. Im Rahmen der Hypnotherapie wird die schmerzbringende Stresssituation bewusst erkannt. Durch die Erinnerung an den entspannten, angenehmen Zustand der Hypnose wird die Schmerzattacke abgewehrt.
Während der Hypnotherapie entwickeln Therapeut und Klient Assoziationen bzw. Vorstellungsbilder, die vom Schmerz ablenken und zum Zustand des Wohlbefindens zurückführen. Ebenso kann der Klient eine Distanzierung zum Schmerz aufbauen, so dass er sich von außen betrachtet, vom schmerzenden Körper loslöst.
Gleichzeitig wird das Selbstbewusstsein des Patienten gestärkt, denn die Hilflosigkeit ist durch die erlernte Selbstkontrolle überwunden.
Manche Klienten haben Probleme sich in den Trancezustand zu begeben, v. a. bei traumatischen Vorerlebnissen. Deshalb ist es wichtig, dass die Hypnose bei chronischen Schmerzpatienten von einem ausgebildeten Therapeuten, wie einem Heilpraktiker für Psychotherapie, unter Einbindung einer zusätzlichen Technik, wie z.B. der Gesprächs- oder Gestalttherapie, erfolgt.
Während bei akuten Schmerzstörungen meist nur eine Sitzung ausreicht, sollten bei chronischen Schmerzzuständen mehrere Sitzungen erfolgen. Eine Terminierung auf alle 7 bis 10 Tage in den ersten vier Wochen hat sich als optimal erwiesen. Wiederholte Tiefenentspannung reduziert das Schmerzgedächtnis und fördert das Wohlbefinden-Gedächtnis des Klienten.
Im Trancezustand kann der Therapeut die Ressourcenfindung des Klienten positiv unterstützen. Suggestion ist ein wesentlicher Baustein der Hypnose. Hat der Klient ein gutes Vorstellungsvermögen, Phantasie und eine starke Konzentrationskraft, begünstigt dies die den Behandlungsverlauf. Der Therapeut nutzt diese Komponenten, indem er z.B. emotional belastete Ereignisse und Empfindungen neu ordnet oder neue physiologische und biochemische Heilungsprozesse anstößt. In bildhafter Sprache gelingt es eine Verbindung zum Unterbewusstsein herzustellen und einen Zugang zu verdrängten Empfindungen, Gefühlen und Verhaltensmustern zu finden. Nach Milton Erickson, der die Wirksamkeit der Hypnotherapie maßgeblich erforscht hat, trägt jeder Mensch selbst die Lösungen in sich, die er braucht. Innerhalb der Hypnose werden die Problemursachen entdeckt und bewältigt. Die Selbstheilungskräfte werden gefördert.
Der Therapeut kann auch mit dem Unterbewusstsein des Klienten über das Auftreten des Schmerzes als Ausdruck einer Störung „verhandeln“.
Im veränderten Bewusstseinszustand der Hypnose können die Anlagen des Klienten genutzt werden, die zur Abspaltung von Schmerzwahrnehmungen führen. Dazu gehören u.a. Absorption, verstärkte Konzentration, eine erhöhte Imaginationsfähgikeit, Zeitverzerrung, die Aktivierung des Immunsystems und eine intensivere Körperwahrnehmung. Gleichzeitig werden positive Assoziationen verstärkt angenommen. Die Fähigkeit zur Amnesie nutzt der Therapeut zur Suggestion eines Zielverhaltens, das erst nach Beendigung der Trance realisiert wird und zu einer Ausschaltung, bzw. Linderung des Schmerzspürens dient.
Eine der bekanntesten Techniken ist die „Handschuh-Analgesie“. Dabei wird dem Klienten in einer Hand das Gefühl von Taubheit, verbunden mit Schmerzunempflindlichkeit suggeriert. Beim Auftreten des Schmerzes im Wachzustand, soll durch das Auflegen dieser Hand an die schmerzende Stelle eine Minderung eintreten.
Anders als bei einer Beruhigung des Schmerzzentrum bei einer örtlichen Betäubung oder Narkose, setzt der Schmerz nach einer Hypnosebehandlung nicht sofort wieder ein. Der unmittelbare Zustand nach einer Sitzung ist ausgeglichen und schmerzstillend. Der Klient befindet sich in einem angenehmen Zustand. Das Gefühl die Kontrolle über den schmerzlichen Zustand zu haben, verstärkt das Wohlbefinden.
Anwendungsgebiete der Hypnose zur Schmerztherapie sind die Dermatologie, Anästhesie, Chirurgie, innere Medizin und die Zahnmedizin. In der Gynäkologie können Frauen unter Hypnose Kinder völlig schmerzfrei zur Welt bringen. Selbst schwere operative Eingriffe, wie Beinamputationen oder Herzoperationen konnten schmerzfrei unter Hypnose durchgeführt werden.
Zum psychosomatischen Einsatz kommt die Hypnotherapie bei Migräne und Spannungskopfschmerz, Belastungen durch Arthritis, Bluthochdruck, Tinnitus, Asthma und Allergien, Phantomschmerzen, Rheumaschmerzen, Rückenschmerzen und Restless Legs.
Bei akuten Schmerzen wird die Hypnose angebracht, um das aktuelle Schmerzerleben zu bewältigen und die Angst zu reduzieren. Die Konzentration liegt hier auf dem momentan begrenzten Zustand. Eine psychotherapeutische Behandlung ist hier nicht notwendig, wie bei etwa bei Zahnbehandlungen, Knochenmarkpunktionen oder Verbrennungen.
Zusammengefasst hat sich eine Erfolgsrate bei chronischen Schmerzpatienten von etwa 50 Prozent herauskristallisiert. Das bedeutet, dass der Klient Schmerzen nicht mehr als das dominierende Thema in seinem Leben empfindet und sein persönliches Dasein nicht ständig beeinträchtigen.
Die Akzeptanz der Hypnotherapie hat in der schulischen Medizin allgemein zugenommen. Dennoch sind Ärzte verschiedener Fachrichtungen sowie Psychologen nicht auf den großen Bedarf der Patienten eingestellt. Es müssen oft für den Betroffene unakzeptable Wartezeiten in Kauf genommen werden.
Hier kann der Heilpraktiker für Psychotherapie ansetzen. Die Methodik der Behandlung erfolgt in gleicher Weise wie in der Schulmedizin. Oft fühlt sich der Klient beim Heilpraktiker besser angenommen, da der Zeitdruck in der Heilpraxis nicht herrscht. Eine lange Wartezeit im Wartezimmer entfällt und die Atmosphäre wird meist als angenehmer empfunden.
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen sind sehr unterschiedlich. Der Klient sollte sich vor der Behandlung darüber informieren.
Verfasser: Susann Velte, August 2014
Literatur:
Bongartz, W. & Bongartz, B. (2000). Hypnosetherapie (2. korrigierte Aufl.). Göttingen:
Hogrefe.
Bongartz, W., Flammer, E. & Schwonke, R. (2002). Die Effektivität der Hypnose. Eine metaanalytische
Studie. Psychotherapeut, 47, 67-76.
Rehfisch, H.P. & Basler, H.-D. (2007). Entspannung und Imagination. In B. Kröner-Herwig,
J. Frettlöh, R. Klinger & P. Nilges (Hrsg.), Schmerzpsychotherapie (6. aktualisierte
und überarbeitete Aufl.) (S. 551-564). Heidelberg: Springer.
Erickson, M.H. (1967/1998). Eine Einführung in Theorie und Praxis der Hypnose zur Schmerzkontrolle.
In E.L. Rossi (Hrsg.), Gesammelte Schriften von Milton H. Erickson.
Band V Innovative Hypnotherapie I (S. 310-320). Heidelberg: Carl-Auer.
Pfingsten, M. & Nilges, P. (2007). Patienten mit chronischen Schmerzen –
Versorgungsdefizite bei spezieller Schmerzpsychotherapie. Report Psychologie, 32
(3), 116-124.
Press release: Mit Selbsthypnose chronische Schmerzen lindern und Arzneimittel reduzieren
Nr. 82/2005 - 08.03.2005
Verfasser und Verantwortlich für den Inhalt:
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