Der innere Kritiker
Der innere Kritiker
27.01.2018
Es ist jener Teil, der so wie das Elternteil geworden ist, das uns am Meisten verletzt hat. Wir haben etwas in uns, das diese Realität aufgenommen hat und für immer (!) genau das mit uns machen wird, was uns damals so sehr verletzt hat.
Dieser Teil ist dennoch ein kleines Kind in uns, das glaubt, es könnte die Verletzung verhindern, doch noch die versagte Liebe bekommen und doch noch das Glück und den Erfolg erzielen, die immer ausgeblieben sind. Es muss es nur schaffen, so zu werden wie es z.B. unsere Mutter damals war.
Es muss ihm nur gelingen, alles in uns so zu bearbeiten, wie es die Mutter getan hätte.
Wird es ihm eines Tages gelingen, genau das zu schaffen, dann wird alles gut werden. Dass bisher nicht alles gut ist, liegt nur daran, dass wir zu minderwertig sind, nicht gut genug für unsere Mutter oder Vater waren.
Es fühlt sich wie eine zensierende Betonmauer an. Da tief im Inneren regt sich so viel Lebendigkeit, doch alles was sich zu weit nach draußen wagt, wird zurückgedrückt oder bearbeitet und in etwas Anderes transformiert. Diese Mauer umspannt den ganzen Körper und verstärkt sich reflektorisch wenn sich innen etwas regt. Das Ziel ist, dass sich da drinnen nie wieder etwas regt, zu gefährlich, zu verletzlich. Es muss aufhören sich zu regen. Stark und unnahbar müssen wir werden. Wie ein Fels in der Brandung eine steinerne Maske tragen. Alles bereits vorher wissen, damit uns nichts unvorbereitet treffen kann. Auf jede Emotion mit Kälte oder wohl dosierter Empathie reagieren. Die Haltung ist gerade. Schweigen ist Gold. Unantastbar sein. Niemals jemandem begegnen oder jemanden berühren.
Alles was wir tun und sagen, wird automatisch bewertet und vorsorglich als ungenügend zensiert. So wie es Mutter (oder Vater) getan hätte. Bewerten wir alles als falsch, was in uns ist, dann sind wir auf der sicheren Seite. Dann kann uns kein Fehler unvorhergesehen treffen.
Alles, was sich regt und bewegt, ist falsch. Jedes Jammern ist lächerlich. Jede Emotion ist Schwäche. Reden ist albern. Schweigen macht stark und lässt alle, die etwas sagen, wie Ameisen unter unsere Schuhsohle verschwinden.
Dieser Teil ist hart und unnachgiebig. Dieser Teil ist stärker und größer als wir glauben. Und dieser Teil besteht in seinem inneren Kern aus Not und Angst: denn da ist das kleine Kind, das keine andere Chance hat, diesem Menschen zu gefallen, als so zu werden wie er.
Seine Realität ist unnachgiebiger Druck und seine Beurteilungen kommen immer prompt und sofort und für diesen Teil gibt es keinen Urlaub. Nur harte Arbeit und Kampf. Kein Jammern. Keine Schwäche. Keine Gefühlsduselei.
Er meldet sich besonders gerne dann, wenn wir bei irgendetwas gescheitert, oder verletzt worden sind. Wenn etwas nicht funktioniert hat…
Dann wird diese Lücke spürbar für eine Nanosekunde öffnet sich das Unbekannte, das Unsichere, ein Raum der nicht kontrollierbar ist und in diese Stille schmettert der Richter Gnadenlos dann seine Litanei: „Was stehst Du hier so rum! Was redest Du für einen Mist! Was sollen denn die Leute denken! Du bist eine Enttäuschung für die ganze Familie! Du kriegst nichts auf die Reihe! Du Nichtsnutz! Egoistisch bist Du auch noch, faul und hinterhältig! Warum hilfst Du den Menschen nicht mehr, wieso redest Du nur von Dir? Sei gefälligst still und hör zu. Was für Mist Du da schon wieder fabriziert hast….“usw.
Meistens verfallen wir mit diesem inneren Anteil in einen Dialog, versuchen zu rechtfertigen oder zu erklären. Versuchen es irgendwie dieser Stimme recht zu machen oder sie weg zu kriegen. Doch noch etwas zu leisten, um zu beweisen, dass wir doch etwas wert sind… Ein innerer und vielleicht auch äußerer Krampf entsteht und die Realität zeigt uns nur noch Beweise dafür, was wir für Versager wir sind und im Kopf weiß die ganze Zeit die Stimme: „Ich hab es dir doch gesagt! Du hast ja nicht auf mich gehört! Es war ja so klar, dass das nichts wird…“
Und der Druck wird stärker und stärker.
Wir können ein ganzes Leben im Schatten dieses Teils verbringen. Druck. Ständiger Veränderungsdruck ist das Zeichen. Nie gut genug sein. Immer weiter und mehr leisten. Es wird nie genug sein und noch auf dem Sterbebett können wir unser Bestes geben und wir werden mit den Worten davon gleiten: „Es war so klar: nichts hast Du geschafft…“
Oder wir können anerkennen, dass wir so etwas in uns haben. Wir können bemerken, wie es sich anfühlt, damit da zu sein: dass es kein Wunder ist, dass da vielleicht etwas sterben will, in Anbetracht dieser Diktatur! Dass dieser Druck uns so sehr die Kraft raubt, dass nichts mehr geht. Dass er uns vorantreibt und gleichzeitig Mauern vors Gesicht schlägt. Dass da kein Ruhen und auch kein Fortkommen möglich ist. Druck, Enge und unerlaubter Schmerz. Wir dürfen vor diesem Druck kapitulieren und ihm erlauben, da zu sein.
Wir dürfen bemerken, wie sich etwas gegen diesen Druck aufbäumt und uns retten will.
Und zu guter Letzt dürfen wir jenem Teil unseren Körper ganz zur Verfügung stellen und diese Realität genau erforschen. Wir können erkennen, was es damit auf sich hat. Hier finden wir die ganzen verborgenen Konflikte unserer Eltern, hier fühlen wir den Lebensauftrag, den sie uns vielleicht mitgegeben haben: „Du darfst kein einfaches Leben haben. Du musst hart arbeiten. Das Leben ist kein Zuckerschlecken und für Emotionen ist kein Platz. Kämpfe und schweige still.“
Wir dürfen absichtlich in diese Realität einsteigen und die Kälte spüren, die Trostlosigkeit. Die Distanz, die Zensur, das Lächerlichmachen und Mundverbieten, sobald er sich öffnen will, die Schläge ins Gesicht, auf den Hinterkopf, oder die Tritte in den Hintern.
Der Trotz, es ihnen damit heimzuzahlen, tatsächlich so zu werden. Und dann nur das zu sein: Starre, Kälte, Härte, Schweigen, Tod. Und im Inneren notleidende Angst.
Da absichtlich hineinzugehen, ist wie ein Trip. Es ist wie, davon zu kosten, wie die Realität für ein inneres Kind in uns damals wirklich war. Es hatte keine Chance. Es ist kein Wunder, dass es so geworden ist. Es gab keinen anderen Raum zu überleben, als selbst Täter zu werden.
Und wenn wir erkannt haben, dass das EIN TEIL von uns ist, dann können wir zu dem kleinen Kind hingehen und ihm danken, dass es sich für uns geopfert hat. Dass wir das Dilemma erkennen, in dem es die ganze Zeit über gesteckt hat! Dass wir sehen, wie sehr es diese Bürde auf sich genommen hat, um uns zu retten.
Dass es ok ist, so da zu sein und dass es sich nicht verändern muss.
Dass es für immer im Hintergrund Druck machen darf. Dass es zu uns dazu gehört. Und vielleicht können wir dieses gebeutelte und verletzte innere Kind in den Arm nehmen und ihm sagen, dass es damit nicht mehr allein ist. Wir sind jetzt da.
Und vielleicht bemerkst Du beim Lesen bereits, wie der Druck etwas nachlässt und sich der Raum öffnet. Ja, das ist ein Teil von uns und dieser Teil trägt ein solches Drama! Das Drama, mit den Eltern von ihnen allein gelassen worden zu sein und nun, um zu überleben, so wie sie werden muss. Der all ihre abgewehrten Konflikte in sich aufgenommen hat und versucht so zu sein, wie sie es brauchen. Was für eine Verantwortung, für so ein kleines Kind! Was für eine Last! Was für eine Leistung!
Vielleicht können wir all das rückmelden und einfach eine Weile bei diesem Kind bleiben, durch seine Augen in die Welt schauen und es so kennen lernen. Es darf genauso sein. Denn es ist ja kein Wunder. Vielleicht können wir dieses Kind in unseren inneren Kindergarten aufnehmen und ihm den Raum geben, den es einfach braucht. Es gehört zu uns und es ist unser wertvoller Schatz.
Weitere Informationen:
https://www.freiwillig-heilsam.com/single-post/2017/11/09/Teil-4-Der-innere-Kritiker
, , http://www.therapeutenfinder.com/therapeuten/psychotherapie-sophia-domke-leipzig.html |