Negatives Verhalten – und wie man es ändern kann
Negatives Verhalten – und wie man es ändern kann
11.09.2018
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, heißt es so schön. Das ist tatsächlich richtig und gut so, denn Gewohnheiten sind letztendlich Automatismen, die das Gehirn vor Überforderung schützen sollen. Der einzige Nachteil: Dem Gehirn ist es grundsätzlich egal, ob gute oder schlechte Verhaltensweisen zur Routine werden.
Die Automatismen im Kopf
Eine recht typische Alltagssituation: Man verlässt morgens das Haus, um zur Arbeit zu fahren und auf halber Strecke kommt die Frage auf, ob man die Tür abgeschlossen hat oder nicht. In den allermeisten Fällen dürfte die Antwort darauf „Ja“ lauten. Weil es genau solche alltäglichen Handlungen sind, die das Gehirn mit der Zeit als Routine in das Unterbewusstsein auslagert. Deshalb läuft ein nicht unbeträchtlicher Teil des Tages automatisch ab, viele Entscheidungen müssen wir nicht mehr bewusst treffen.
Dieses Vorgehen ist tatsächlich ebenfalls eine Routine, die dazu benötigten Teile des Gehirns (die Basalganglien), in denen aus wiederholten Handlungen sozusagen abrufbare Programme werden, stammen aus der evolutionären Frühzeit – und zwar nicht nur der des Menschen, denn die Basalganglien sind wesentlich älter. In gewisser Weise ist das Gehirn also von Grund auf daraus ausgelegt, Gewohnheiten abzuspeichern.
Im Gegensatz zum Frontalkortex, der für das bewusstes und rationales Handeln zuständig ist und evolutionsgeschichtlich erst sehr viel später dazu kam. Beide unterscheiden sich außerdem in der Geschwindigkeit, mit der die Prozesse in ihnen jeweils ablaufen. Die programmierten Routinen der Basalganglien brauchen kaum Zeit und Anstrengung, das bewusste Handeln dauert hingegen sehr viel länger, braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Konzentration.
Aus diesem Grund sind Gewohnheiten zunächst einmal eine praktische Sache, denn sie helfen dabei, wertvolle Energie einzusparen. Die steht dann wieder in Situationen zur Verfügung, in denen die Aktivität des Frontalkortexes gefragt ist: In Stresssituationen, in denen – im wahrsten Sinne – bei vollem Bewusstsein Entscheidungen getroffen werden müssen, aber eben auch dann, wenn langfristig gedacht, wenn geplant, organisiert oder entwickelt werden muss. Das wird unter anderem dadurch möglich, dass das Gehirn im Entspannungsmodus agiert, solange es Gewohnheiten abspulen kann.
Das Gehirn bevorzugt Gewohnheiten, weil die weniger anstrengend sind.
Gute Gewohnheiten, schlechte Gewohnheiten
Das Problem an dieser an und für sich praktischen Funktionsweise unseres Gehirns: Es gibt keine Unterscheidung zwischen guten oder schlechten Gewohnheiten. Sinn und Zweck des Abspeicherns von Routinen ist es in erster Linie, dem Gehirn die tagtägliche Arbeit weitestgehend zu erleichtern. Ganz wie bei einem Computer macht das Gehirn das, was ihm beigebracht wird – denn Routinen sind erlerntes Verhalten. Was im Straßenverkehr hilfreich ist, weil beim Autofahren nicht jede einzelne Handlung bewusst gesteuert werden muss, erweist sich in vielen anderen Bereichen als kritisch.
Dass sich schlechte Gewohnheiten genauso schnell „einschleifen“ wie gute, hat damit zu tun, dass unabhängig von der Qualität einer Routine immer dasselbe Schema zugrunde liegt. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Verhaltensschleife, auch habit loop genannt. Sie besteht aus drei Phasen:
- Der Reiz oder Auslöser gibt dem Gehirn das Signal, sich ein bestimmtes Verhalten besonders einzuprägen. Hierzu kommt vieles in Frage, es kann sich etwa um einen bestimmten Zeitpunkt im Tagesverlauf handeln, um einen bestimmten emotionalen Zustand oder eine zwischenmenschliche Interaktion.
- Gleichzeitig löst der Reiz das Verhalten selbst aus oder, wenn es bereits abgespeichert wurde, die dazugehörige Routine.
- Am Ende der Schleife steht die Belohnung, die je nach Verhalten ganz unterschiedliche ausfallen kann. Das entspannte Gefühl nach dem Rauchen einer Zigarette wäre beispielsweise eine solche Belohnung oder das Glücksgefühl beim Verzehr von Schokolade. In jedem Fall ist die Belohnung eng mit der Routine verknüpft und die Erinnerung daran wird genau wie das Verhalten durch ein erneutes Auslösen abgerufen.
Im Übrigen muss eine Gewohnheit nicht zwingend mit einem bestimmten Verhalten zusammenhängen. Unterschieden wird nämlich zwischen Denkgewohnheiten, Gefühlsgewohnheiten und Verhaltensgewohnheiten. Der Ablauf der Automation ist trotzdem immer gleich. Er ist außerdem – und darin besteht gerade bei schlechten Gewohnheiten das Problem – vergleichsweise schwer durch den bewussten Willen zu beeinflussen.
Falsche Ernährung hat hauptsächlich mit den falschen Gewohnheiten zu tun – und ist deswegen zu schwer zu ändern.
Umgekehrt wird das Verhalten im Allgemeinen unter Umständen sogar sehr durch Gewohnheiten beeinflusst. Verantwortlich hierfür ist meistens die Erfahrung, dass ein bestimmtes Verhalten eine Belohnung mit sich bringt. Die Gefahr ist dann unter Umständen groß, dieses Verhalten so oft wie möglich zu wiederholen, um immer wieder an die Belohnung zu gelangen. Eine bekannte und häufige Folge ist etwa das falsche Essverhalten. Darin ist im Prinzip aber auch schon ein potenzielles Suchtverhalten angelegt, obwohl es dann schon in den pathologischen Verhaltensbereich geht.
Abgesehen davon sind je nach Sucht Abweichungen vom beschriebenen Schema zu berücksichtigen. Bei Spielsucht ist die Belohnung keineswegs gesichert, was letztendlich aber nur dazu führt, dass das Verhalten noch stärker konditioniert wird. Unter solchen Voraussetzungen ist der „Routine“ selbst mit therapeutischen Mitteln nur noch schwer beizukommen, was selbst bei weniger drastischen Ausmaßen schwierig ist. Denn Gewohnheiten werden immer von einem neuronal verankerten Verlangen begleitet, was wiederum mit Veränderungen im Gehirn einhergeht. Diese lassen sich kaum mehr rückgängig machen.
Die Routine durchbrechen
Geht man von einem Punkt der Entwicklung aus, an dem noch nicht von einem Suchtverhalten gesprochen werden kann, an dem das routinemäßige Verhalten aber offensichtlich als negativ zu bezeichnen ist, besteht noch die Möglichkeit, dem mit eigenen Mitteln entgegenzuwirken. Das ist keine leichte Aufgabe, denn Untersuchungen haben gezeigt, dass es deutlich einfacher ist, eine neue Gewohnheit zu etablieren als eine alte abzulegen.
Genau das kann aber ein Ansatzpunkt sein, um schlechte Gewohnheiten zu durchbrechen: Sie werden durch neue Routinen mit weniger negativen Auswirkungen ersetzt. Die besondere Schwierigkeit besteht jedoch nach wie vor darin, rechtzeitig auf ein unbewusstes Verhaltensmuster zu reagieren – das aber meistens schon in Gang gesetzt wurde, bevor es uns bewusst wird. Schließlich braucht es auch keine bewusste Wahrnehmung des Reizes, um das Programm zu starten. An erster Stelle muss daher das Bewusstsein für das betreffende Verhalten stehen. Das ist die Grundlage, um eine Veränderung herbeizuführen.
Gelingen kann das über eine schrittweise Annäherung an das „Problem“:
- Was genau ist die Gewohnheit, die sich als nicht mehr tragbar erwiesen hat? Der erste Schritt besteht darin, das unerwünschte Verhaltensmuster ganz konkret zu benennen – zu viele Süßigkeiten, zu viele Zigaretten, zu wenig Ordnung zu Hause, es gibt unzählige Möglichkeiten.
- Was ist der Auslöser? Was passiert, woran denken wir oder welche Situation muss eintreten, bevor die Gewohnheit ausgelöst wird? Manchmal ist der Reiz gar nicht mehr so ohne Weiteres zu identifizieren, in diesem Fall empfiehlt es sich, die Routine mehrfach zu beobachten. Auf diese Weise lässt sich ganz genau herausfinden, was der finale Auslöser für die Gewohnheit ist.
- Den Reiz zu kennen, heißt aber noch lange nicht, in auch bewusst wahrzunehmen. Das ist sozusagen Fluch und Segen des automatisierten Verhaltens gleichermaßen. Einerseits braucht es dazu in Mindestmaß an bewusster Wahrnehmung, andererseits kann dieser konzentriertere Umgang mit der Gewohnheit direkt genutzt werden, um eine neue zu etablieren. Bemerkt man, dass der Auslöser gerade wirkt, sollte das am besten mit einer Handlung verbunden werden, durch den diese Reaktion erkennbar, sprich sichtbar wird.
Möglich ist zum Beispiel, das Auslösen des Reizes immer in Form einer Strichliste zu notieren.
- Was die Gewohnheit in Gang setzt, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Gleichermaßen gilt es herauszufinden, worin genau die Belohnung besteht. Immerhin geht es bei den Routinen immer um ein Bedürfnis oder Verlangen, das eben auf die Belohnung ausgerichtet ist. Im Prinzip lässt sich die Frage nach der Belohnung zunächst auch nur über das Beobachten klären.
Es geht darum, möglichst genau nachvollziehen zu können, was mit der Gewohnheit letzten Endes erreicht werden soll, was man dafür bekommt bzw. was einem fehlen würde, wenn das Verhalten nicht routinegemäß ausfällt.
Neue Gewohnheiten etablieren
Der letzte Schritt auf dem Weg, die negative Gewohnheit loszuwerden, wäre dann die neue Gewohnheit. Er lässt sich allerdings nur sinnvoll umsetzen, wenn die vorherigen Beobachtung so präzise wie möglich durchgeführt wurden. Denn die neue Gewohnheit muss immer noch dasselbe Verlangen oder Bedürfnis befriedigen, auch wenn das dorthin führende Verhalten ein anderes ist. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Verlangen und alternativen Wegen, es dennoch zu stillen, ist daher die Voraussetzung für das Etablieren der neuen Gewohnheit.
Griffbereites Obst statt griffbereiter Süßigkeiten kann genau der entscheidende „Schubser“ zum besseren Verhalten sein.
Sollten die Alternativen nicht gleich auf der Hand liegen, ist es durchaus sinnvoll, den Blick auf andere Menschen zu richten und auf deren Art und Weise, dasselbe Bedürfnis zu befriedigen. Unter Umständen gibt es im eigenen Verhaltensrepertoire aber bereits Gewohnheiten, die schlussendlich demselben Zweck dienen – dabei aber eben nicht als negativ empfunden werden.
Noch einfacher wird es möglicherweise durch den Rückgriff auf eine Strategie, die normalerweise eher im Marketingbereich angewendet wird, aber inzwischen auch darüber hinaus weite Verbreitung findet: das sogenannte Nudging. Bei „Nudges“ handelt es sich im Prinzip um kleine Anreize, die zu einer bestimmten Entscheidung führen sollen. Im Handel werden sie beispielsweise genutzt, um gezielt Produkte zu verkaufen, aber es lässt sich das Verhalten im Allgemeinen damit beeinflussen.
Was immer wieder als bewusste Manipulation kritisiert wird, kann aber bei der persönlichen Verhaltensänderung eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Maßnahme sein. Das Selbst-Nudging würde im Grunde genommen darauf hinauslaufen, wie oben beschrieben den schlechten Auslöser durch einen guten zu ersetzen.
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